Du wirst sein nächstes Opfer sein: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
ergab, griff er zu einem SpyFinder-Kameradetektor. Mittels ultraheller LED-Strahlen rund um ein Beobachtungsfenster wurde die Reflexion einer versteckten Mikro-Kameralinse verstärkt. Ganz gleich, wie gut sie verborgen war, die Linse einer Spionagekamera musste zwangsläufig unverdeckt bleiben, um zu funktionieren.
Das Fahrzeug war sauber. Zufrieden wandte Tanner sich dem Gefangenen zu.
Er war systematisch gefoltert worden. Seine Unterarme waren von einem Gitter aus Verätzungen überzogen. Man hatte ihm die Ohrläppchen abgeschnitten, und es sah so aus, als hätte man die Innenseite eines Oberschenkels wiederholt mit einem Elektroschocker traktiert, während der andere Schenkel eine Verbrennung dritten Grades aufwies. Über seine Brust zogen sich wie mit dem Lineal gezogene, feine Schnitte, und sein Bauch war mit verkrustetem Blut verschmiert. Tanner vermutete, dass man auch den Mund des Mannes bearbeitet hatte, wollte aber nicht das Klebeband entfernen, bevor er an einem abgeschiedenen Ort war.
Er kletterte aus dem Laderaum und setzte sich vorn auf den Fahrersitz. Beim ersten Versuch sprang der Wagen ohne Stottern an. In dem Jeep, den er beim Motel hatte stehenlassen, war genug Platz für seine neue Errungenschaft, und auch wenn es nicht ganz leicht sein würde, den Gefangenen von einem Fahrzeug in das andere zu schaffen, war Tanner doch zuversichtlich, dass es ihm gelingen würde. Dann würde er den Transporter in einer Seitenstraße abstellen und seinem Schicksal überlassen.
Der Mann ächzte. Tanner hoffte, dass der Typ sich nicht vollkackte. Ein verschissenes, stinkendes Auto hätte ihm gerade noch gefehlt.
Kurz dachte er darüber nach, dann schaltete er den Motor aus und stieg aus. Er verschwand im Supermarkt und kam mit einem Karton Erwachsenenwindeln wieder heraus.
»Ganz ruhig, Kleiner«, sagte er, als er wieder in den Laderaum kletterte. »Jetzt bist du in guten Händen.«
Die Fahrt zum Motel zurück verlief ereignislos. Er steuerte die entlegenste Ecke des Parkplatzes an, um möglichst ungestört zu sein. Bevor er den Gefangenen von einem Auto ins andere schaffte, verpasste er ihm eine Rohypnol-Spritze. Das Schlafmittel hatte eine Halbwertszeit von bis zu sechsundzwanzig Stunden. Einen Moment zögerte er, dann gab er ihm noch einmal eine halbe Dosis. Die ursprüngliche Dosis hätte den Gefangenen bis zur Hütte bewusstlos gestellt, aber Tanner hatte seine Reisepläne schlagartig geändert.
Er würde nicht zur Hütte fahren, sondern an die Küste.
8
T anner brauchte zwölf Stunden, um von den Kiefernwäldern des Mount Shasta Nationalparks zu dem privaten Jachthafen von Anacortes in der Burrows Bucht auf Fidalgo Island im Staat Washington zu gelangen. Parkins war noch immer bewusstlos, und es roch ganz so, als hätte er sich in die Windel gepisst.
Auch der Transport vom Jeep auf das Boot verlief reibungslos. Tanner hatte sich ein wenig Sorgen gemacht, weil die Chance bestand, dass der Gefangene einen Kreislaufkollaps erlitt. Der in Rohypnol enthaltene Wirkstoff Flunitrazepam konnte in höheren Dosen zu Atemdepression führen. Doch Parkins schien es gutzugehen.
Es war schon fast drei Uhr morgens, und die Luft war kalt und rauh. Während der letzten Stunde waren dicke Schneeflocken herabgewirbelt und hatten das halbe Dutzend Boote, die an dem Landesteg festgemacht und mit blauen Planen abgedeckt waren, wie mit einem Zuckerguss überzogen. Tanner verstaute seine Fracht unter Deck und kam dann nach oben, um auf die eisige schwarze Wasserfläche zu starren. Die Schneeflocken verschwanden, sobald sie darauf landeten. Das Meer war wie ein hungriges schwarzes Nichts, das jeden Funken Licht verschlang.
Tanner startete den Motor des Kajütboots, steuerte rückwärts aus dem Liegeplatz und fuhr dann nach Norden auf die Insel San Juan zu.
SACRAMENTO. Unter den Angehörigen und Freunden des verschwundenen Dennison Parkins wächst die Sorge. »Das ergibt einfach keinen Sinn«, sagt seine Frau Arianna. »Manchmal ist er länger nicht daheim, weil er größere Touren unternimmt, aber er kommt immer wieder nach Hause zurück. Wir machen uns wirklich Sorgen um ihn.«
Parkins (37) hat zwei kleine Töchter und erwartet ein drittes Kind. Neben seiner Tätigkeit als erfolgreicher Immobilienmakler arbeitet er ehrenamtlich für die Gemeinde und sitzt im Parkausschuss seiner Heimatstadt. Zuletzt wurde er am 18. November in einem roten Honda Civic Coupé gesehen. Wer sachdienliche Hinweise geben kann, wende sich bitte
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