Du wirst sein nächstes Opfer sein: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
sanfterer Stimme. »Hören Sie, ich kaufe Ihnen eine neue Bluse, okay? Gleich gegenüber ist ein Einkaufszentrum. Und Sie bekommen einen neuen Drink. Sieht so aus, als könnten Sie ihn brauchen.«
Sie lächelte ihn durch die Tränen an.
Jack ging von einem Zimmer des Lagerhauses zum nächsten und betrachtete die Kunstwerke, die der Mörder seiner Familie hier gestapelt hatte.
Es war eine stattliche Menge Kunstwerke, und sie waren viel wert. Unter einem seiner Lieblingsstücke blieb er stehen, einem großen Kronleuchter aus Glasscherben. Eine Seite jeder Scherbe bestand aus einem Spiegel, die andere war mit zerknitterter, rückstrahlender Mylarfolie überzogen, in der das Licht leicht verfälscht reflektiert wurde. Die Scherben waren dicht zusammengedrängt, so dass ein sich ständig wandelndes Labyrinth aus Lichtstrahlen entstand. In der Mitte der Scherbenkugel befand sich die Lichtquelle, die wunderschöne Glasskulptur einer nackten Frau. Am Boden der Skulptur flackerte künstliches Kerzenlicht, dessen Schein durch den durchsichtigen Körper strahlte und jeden gespannt modellierten Muskel und jede sanft gewölbte Rundung zur Geltung brachte. Dennoch war es schwer, einen klaren Blick auf die Frau zu erhaschen, denn da sich die Scherben bewegten, schimmerten immer nur Ausschnitte von ihr durch, die mal verzerrt waren, mal nicht.
Die Skulptur hieß Erinnerung.
Mit ihr hatte der Künstler seiner ersten Liebe Tribut gezollt, die der Patron ermordet hatte. Jack hasste ihren Anblick, denn er war der Beweis dafür, dass die Methode des Patrons funktioniert hatte: Manchmal wurde ein mittelmäßiger Künstler durch ein grauenhaftes, formendes Ereignis zu wahrer Genialität angespornt. Schon immer hatte Jack geahnt, dass sich wahre Schönheit um einen Kern aus Schmerz hüllte, doch der Patron hatte aus dieser wesentlichen Tatsache einen industriellen Vorgang gemacht. Das war genauso unmenschlich, wie Menschen zu Seife zu verarbeiten.
Nein. Das nicht. Er wusste nicht genau, warum. Er hatte einfach das Gefühl, dass es nicht der richtige Vergleich war.
Im nächsten Raum standen lauter Monster.
Gigantische, aufwendige Skulpturen, die sich furchtbar erhoben und den Betrachter mit Klauen aus Schlachtermessern zu greifen schienen.
Jack blieb vor einem großen, ungefähr drei Meter hohen und knapp zwei Meter breiten Gemälde stehen. Es stammte von einem Künstler namens Salvatore Torigno. Als sie zum ersten Mal übers Internet miteinander in Kontakt gekommen waren, hatte der Patron Jack ein Foto dieses Bildes geschickt. Damals hatte Jack sich gefragt, wieso er ausgerechnet dieses Bild ausgesucht hatte.
Es stellte einen Mann dar, der auf dem Boden zusammengesunken war und seine Hände zum Gebet gefaltet hatte, während über ihm Engel mit Dämonengesichtern schwebten. Sie schwenkten Lanzen, auf denen bluttriefende Herzen aufgespießt waren. In der Mitte aber erhob sich über dem Mann eine Gottheit mit weißem Bart und triumphierendem, bösartigem Gesichtsausdruck. Sein breites Grinsen offenbarte eine Reihe scharfer Zähne: ein fleischfressender Gott vor seiner nächsten Mahlzeit.
Jack glaubte, es zu verstehen. Der grausame, mitleidlose Gott auf dem Gemälde war der Urheber all des Leidens, und Torigno betete ihn an und flehte um Gnade.
Aber Gott war nicht für Torignos Leiden verantwortlich. Sondern der Patron. Und in seiner ungeheuren Arroganz erkannte der Patron in der Darstellung des gefühllosen Schöpfers sich selbst.
Jack wünschte, dass er dem Künstler sagen könnte, dass das unmenschliche Wesen, das er mit Ölfarben auf der Leinwand beschworen hatte, tot war. Dass er niemanden mehr quälen würde. Nie wieder. Aber das ging nicht. Kurz nachdem der Patron in Jacks Stuhl gestorben war, hatte sich Salvatore Torigno das Leben genommen, weil er die Bilder in seiner Erinnerung nicht länger ertragen hatte. Wenn er daran dachte, was der Patron mit Torignos Mutter gemacht hatte, konnte Jack es ihm auch nicht verdenken.
Inzwischen war das Gemälde das Doppelte wert.
Jack seufzte. Der Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht … aber Remote musste aufgehalten werden, und Jacks Plan erforderte umgehend eine gutgefüllte Kasse.
Mit einer Digitalkamera fotografierte er das Gemälde und bereitete alles vor, um es zu verkaufen.
Jack telefonierte.
»Hallo. Chris?«
»Ja. Wer ist da?«
»Hier ist Jack Salter.«
»Jack? Wow, Mann, lange nicht miteinander gequatscht. Was hast du die ganze Zeit getrieben? Bist du immer noch in
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