Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
möchte helfen, und du bist wirklich sehr gefährdet.«
»Nein. Ich bin angepisst. Ich will mein Leben zurück. Ich will nach Hause.«
»Du wirst ja auch wieder nach Hause kommen«, sagt sie und beugt sich vor. »Ganz bestimmt.«
Sie hört sich so aufrichtig an, dass alles in mir danach drängt, ihr zu glauben. Leute können nicht vortäuschen, dermaßen besorgt zu sein. Oder wenigstens sollten sie es nicht können.
»Bitte«, fügt sie hinzu und zeigt auf die Pille. »Du wirst dich wirklich besser danach fühlen. Ich möchte doch bloß mit dir reden.«
Und ich möchte nach Hause. In mein Bett. Ich möchte mich dieser Therapie nicht unterziehen. Aber wenn diese Pille mir die Traurigkeit nimmt, die mir in ebendiesem Moment die Brust einschnürt, dann werde ich sie vielleicht dieses eine Mal schlucken. Einfach, damit ich durchhalte.
Also nicke ich und nehme die kleine rote Pille und schlucke sie.
Dr. Warren richtet ihre Brille und lächelt mich an.
Zwanzig Minuten ist es jetzt her, dass ich die Pille genommen habe, und ich muss sagen, mein Körper fühlt sich ziemlich wohl. Meine Beine baumeln über die Armlehne, mein Kopf ruht an der Rückenlehne. Meine Muskeln, die seit Tagen so verkrampft waren, sind endlich wieder entspannt und locker.
»Du vermisst James, und ich weiß, dass dies im Moment der Hauptgrund für deinen Kummer ist«, beginnt Dr. Warren. »Vielleicht würde es helfen, wenn wir über ihn sprechen.«
»Und warum sollte ich mit Ihnen über ihn reden?«, frage ich verträumt. Ich schaue an ihr vorbei durch die großen Fenster nach draußen, wo die Sonne scheint. »Wir interessieren Sie doch überhaupt nicht.«
»Natürlich tut ihr das. Ich bin hier, um dir zu helfen, Sloane. Ich widme mein ganzes Leben der Aufgabe, diese Epidemie einzudämmen.«
»Klar.«
»Ich würde gern hören, wie du und James euch kennengelernt habt«, drängt sie erneut.
»Er war der beste Freund meines …« Ich stocke, weil mich auf einmal eine so schmerzvolle Emotion gefangen nimmt. »… meines Bruders«, beende ich schließlich den Satz.
»Der Bruder, der Selbstmord begangen hat?«
Ich nicke, und langsam sickert die Wärme der Droge wieder in mich ein und spült den Schmerz hinaus. Ich bin so betäubt, dass es fast schon wie eine Euphorie wirkt.
»Gibst du dir die Schuld an Bradys Tod?«
Ich zucke zusammen, als sie den Namen meines Bruders ausspricht. Es beunruhigt mich, dass sie ihn kennt. Ich will nicht über Brady sprechen, und trotzdem erwische ich mich dabei, wie ich ihr antworte.
»Natürlich«, sage ich.
» Warum?« Dr. Warren stützt ihre Ellbogen auf den Schrei btisch.
Ich versuche es ihr zu erklären. »Ich war dabei. Wenn ich hätte schwimmen können …«
»Fühlte sich James auch schuldig?«
»Ja.« Ich erinnere mich an die vielen Nächte, in denen ich James’ Kopf in meinem Schoß hielt. Wie ich zusah, wenn er weinte. Wie ich ihm zuhörte, wenn er sagte, dass er Brady im Stich gelassen hätte. Dass er auch mich im Stich gelassen hätte. Ich hasse diese Bilder und versuche sie wegzuschieben, doch sie scheinen wie in einer Endlosschleife immer wiederzukommen. Ich kann sie nicht aufhalten. Genauso wenig, wie ich mich selbst aufhalten kann, als ich der Ärztin all dies erzähle, obwohl ich es gar nicht will. Es ist ein Zwang, ihr mein Herz auszuschütten – mein verwüstetes, verwundetes Herz.
»Also habt ihr euch beide die Schuld daran gegeben«, stellt sie fest. »Was den Verlust noch schlimmer machte. Ich wette, das hat ein starkes Band zwischen dir und James geschaffen. Seid ihr auf die Weise zusammengekommen?«
»Nein. Wir hatten schon vorher angefangen, uns zu treffen.«
Die Ärztin beugt sich vor. »Erzähl mir davon.«
Obwohl mir eine Stimme in meinem Kopf sagt, dass ich nicht über ihn reden soll, überwältigen mich meine Gefühle. Ich vermisse ihn, und ich will mich daran erinnern, wie es früher war. Zum ersten Mal seit so langer Zeit darf ich weinen. Darf ich alles herauslassen. Also schließe ich die Augen und lehne meinen Kopf wieder zurück.
Ich erzähle ihr, wie ich damals entdeckt habe, dass meine Gefühle für James tiefer gingen.
»Moment mal«, sagt die Ärztin, »damit ich das richtig verstehe: James wollte anfangs gar keine Beziehung mit dir eingehen?«
»Nein. Er hat sich sogar dagegen gewehrt. Wir haben beide meinen Bruder geliebt und wollten nicht, dass er sauer war.«
»Und wie seid ihr dann doch zusammengekommen?«
»Es hat ein Weilchen gedauert«, erwidere
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