Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
zucke zusammen, schaue dann in seine dunklen Augen. »Bin echt nicht in der Stimmung für Witze«, sage ich. »Vielleicht ein andermal.« Ich sehe wieder zum Fenster hinaus und hoffe, dass er verschwindet, damit ich mich erneut in meine Erinnerungen verkriechen kann. Damit ich an James denken kann.
»Okaaay«, sagt der Typ und tritt einen Schritt zurück. »Also, bis dann mal, Süße«, fügt er hinzu und geht, wahrscheinlich überrascht, dass ich keine Lust habe zu quatschen.
Aber ich will hier nicht mit anderen reden. Ich bin nicht daran interessiert, Freunde zu finden. Das Einzige, was mich interessiert, ist, wie ich hier herauskomme.
2. Kapitel
Es ist früh am nächsten Morgen, als die Schwester hereinkommt. Auf ihren Lippen liegt wieder das freundliche Lächeln. Ich habe tief und fest geschlafen, was vermutlich den Pillen zu verdanken ist, die sie mir vor dem Schlafengehen gaben.
»Zeit, Dr. Warren kennenzulernen, deine Therapeutin«, sagt sie und nimmt meinen Arm, um mir aus dem Bett zu helfen.
Ich fühle mich noch ziemlich benebelt und schwanke einen Moment.
»Du wirst sie bestimmt mögen«, fährt sie fort. »Ist eine tolle Ärztin.«
Nach einem kurzen Abstecher ins Bad kehre ich zurück, und die Schwester fasst meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Ich lasse sie gewähren, weil ich das Gefühl habe, als würden Sandsäcke an meinen Armen hängen. Sie streift mir auch die Hausschuhsocken über und zieht mir den Morgenmantel an.
»Okay, Schätzchen«, meint sie schließlich, »dann lass uns gehen. Wir wollen ja nicht zu spät kommen.«
Ich blinzele schläfrig und gehe neben ihr her, während sie mich den Gang hinunterführt. Der Flur ist leer bis auf den dunkelhaarigen Betreuer, der an der Wand lehnt, die Arme über der breiten Brust verschränkt. Er neigt den Kopf, als ich vorbeigehe.
»Guten Morgen, Sloane.«
Ich antworte nicht, verstärke nur den Griff um den Arm der Schwester. Der Betreuer ist immer da, ständig belauert er mich. Ich habe Angst, dass ich ihn nie wieder loswerde.
»Wie spät ist es?«, frage ich die Schwester. Meine Stimme klingt kratzig und verschlafen.
»Du hast den allerersten Termin bekommen. Um Punkt sechs«, erwidert sie.
Ich finde, dass man um sechs Uhr morgens nicht unbedingt von den Leuten erwarten kann, dass sie ihre Seele offenlegen. Aber vielleicht bin ich ja um diese Zeit besonders verletzlich. Ich presse die Kiefer zusammen und versuche, meine Angst niederzukämpfen, als wir vor einer Holztür stehen bleiben. Ich weiß nicht, was dahinter liegt. Ich weiß nicht, was sie mir antun werden.
Ich halte den Atem an, als die Krankenschwester die Tür öffnet, dann führt sie mich in ein kleines Büro, sauber und weiß. Ein gemütlich wirkender Sessel steht vor einem Schreibtisch. Die Frau hinter dem Schreibtisch steht auf und lächelt mich an.
»Guten Morgen, Sloane«, begrüßt sie mich. Ihre tiefe Stimme wirkt Respekt einflößend und gleichzeitig beschützend.
»Morgen«, murmele ich, verblüfft, dass dieser Raum so normal erscheint. Ich weiß nicht, was genau ich erwartet habe, auf jeden Fall aber etwas Gruseligeres. Elektroschock-Maschinen vielleicht.
»Danke, Schwester Kell«, sagt Dr. Warren und bietet mir dann einen Platz an.
Als ich mich in den riesigen braunen Sessel sinken lasse, bemerke ich ein Glas Wasser auf dem Schreibtisch der Ärztin. Daneben liegt eine leuchtend rote Pille. Schätze, die ist nicht für sie.
Ich hebe den Blick, und wir sehen einander an. Sie presst die Lippen zu einem mitfühlenden Lächeln zusammen.
»Du bist sauer«, stellt sie fest.
»Finden Sie?«
»Wieso?«
Die Frage erscheint mir so absurd, dass ich erst einmal nicht weiß, was ich darauf antworten soll. Ich starre sie an.
Sie trägt eine metallgefasste Brille, das dunkle Haar fällt ihr in perfekten Wellen auf die Schultern. Selbst ihr Make-up wirkt perfekt, so als wäre sie selbst nicht echt. Einfach nur eine Schauspielerin in einem Stück.
»Ich hab keine Lust, hier zu sein«, erwidere ich schließlich.
»Du hast versucht, dir das Leben zu nehmen, Sloane.«
»Weil die Betreuer da waren«, sage ich heftig. »Ich dachte, wenn sie mich ohnehin verschleppen, dann kann ich ihnen genauso gut auch eine Show bieten.«
Sie nickt, wirkt aber irgendwie enttäuscht, dann blickt sie auf die Pille. »Ich denke, du solltest sie nehmen, bevor wir beginnen.«
»Und wenn ich’s nicht tue?«
Sie legt den Kopf schief. »Dann eben nicht. Das ist kein Trick, Sloane. Ich
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