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Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)

Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)

Titel: Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Young
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hinsehen.
    Der dunkelhaarige Betreuer beugt sich vor, um Kendra am Ellbogen zu packen und sie fortzuführen.
    Doch Kendra beginnt um sich zu schlagen, reißt sich los und will lautstark ihren Protest herausschreien.
    Beide Männer stürzen sich auf Kendra, die immer noch um sich schlägt und schreit. Sie ist höchstens einsfünfzig, aber sie kämpft wie wild. Wilder als die anderen.
    Ich spüre, wie die Anspannung vom Rest der Klasse abfällt. Wir alle hoffen, dass es schnell vorbei ist. Hoffen, dass wir einen weiteren Tag überstehen, ohne ausgesondert zu werden.
    »Ich bin nicht krank!«, ruft Kendra, die sich erneut losreißen kann.
    Endlich unterbricht Mrs. Portman ihren Unterricht. Sie schaut etwas entnervt drein. Die Ruhe, die sie auszustrahlen versucht, ist brüchig. Ein Mädchen in meiner Nähe fängt zu heulen an, und ich würde ihr am liebsten sagen, dass sie still sein soll, doch ich will keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Sie muss schon selbst auf sich aufpassen.
    Der dunkelhaarige Betreuer schlingt seine Arme um Kendras Taille und hebt sie hoch, obwohl sie um sich tritt.
    Ein ganzer Schwall von Obszönitäten ergießt sich aus Kendras Mund, Speichel läuft ihr aus den Mundwinkeln. Ihr Gesicht ist ganz rot und verzerrt, und plötzlich denke ich, dass es sie schlimmer erwischt hat, als wir alle befürchtet haben. Dass dies nicht länger die wirkliche Kendra ist und es vielleicht auch schon nicht mehr war, seit ihre Schwester starb.
    Bei diesem Gedanken steigen mir Tränen in die Augen, doch ich dränge sie zurück, ganz tief in mich zurück, dorthin, wo ich all meine Gefühle unter Verschluss halte, so lange, bis niemand mehr um mich ist, der mich beobachtet.
    Der Betreuer legt eine Hand auf Kendras Mund, erstickt ihre Beschimpfungen und flüstert ihr beruhigende Worte ins Ohr, während er versucht, sie zur Tür zu tragen. Der zweite ist schon vorausgeeilt und hält die Tür auf.
    Doch plötzlich schreit der Mann auf, der Kendra hält, lässt sie fallen und schüttelt seine Hand, als habe sie ihn gebissen.
    Kendra springt auf, um wegzulaufen, doch der Betreuer macht einen Satz auf sie zu, seine geballte Faust landet mitten in ihrem Gesicht. Der Schlag schleudert sie gegen Mrs. Portmans Pult, dann geht sie zu Boden.
    Die Lehrerin keucht auf, als Kendra vor ihr stürzt, doch sie weicht lediglich ein Stück zurück.
    Kendras Oberlippe ist aufgeplatzt, Blut tropft auf ihren grauen Sweater und den weißen Boden. Ihr bleibt kaum Zeit zu begreifen, was geschehen ist, als der Betreuer nach ihren Knöcheln greift und sie, als wäre er ein Höhlenmensch, hinter sich her zum Ausgang zieht.
    Kendra schreit und bettelt. Sie versucht, sich an allem, was greifbar ist, festzukrallen, doch sie hinterlässt lediglich eine Blutspur auf dem Boden.
    Als sie schließlich an der Tür sind, hebt sie den Blick und schaut mich mit ihren purpurfarbenen Augen an, streckt eine blutigrote Hand nach mir aus, ruft verzweifelt: »Sloane!«
    Und ich höre auf zu atmen.
    Der Betreuer bleibt stehen, sieht über die Schulter hinweg zu mir hin. Ich habe ihn bis zu diesem Tag noch nie hier bemerkt, und irgendetwas in der Art, wie er mich betrachtet, verursacht mir eine Gänsehaut.
    Ich senke den Blick.
    Erst, als ich höre, wie die Tür sich schließt, wage ich wieder den Kopf zu heben. Draußen auf dem Flur verstummen Kendras Schreie abrupt, und ich frage mich flüchtig, ob man sie getasert oder ihr eine Beruhigungsspritze gesetzt hat. Egal, ich bin einfach nur froh, dass es vorbei ist.
    Einige im Raum schluchzen, doch die meisten sind still. Hellrote Streifen ziehen sich immer noch vorn über den Klassenboden.
    »Sloane?«, sagt die Lehrerin, und ich erschrecke. »Ich habe deine tägliche Einstufung noch nicht erhalten.« Sie geht zum Schrank, wo sie Eimer und Wischlappen aufbewahrt. Es scheint sie nicht merklich zu berühren, dass man Kendra aus der Klasse geschleift hat, nur ihre Stimme klingt ungewöhnlich hoch.
    Ich schlucke hart und entschuldige mich, hole meinen Stift aus dem Rucksack. Während meine Lehrerin Bleichmittel auf den Boden kippt und uns erneut mit dem Geruch erstickt, beginne ich, meine Kreuzchen an die richtigen Stellen zu setzen.
    Hast du dich schon einmal einsam oder hilflos gefühlt?
    Ich starre auf das weiße Blatt, genauso eins, wie es jeden Morgen auf unseren Pulten liegt. Am liebsten würde ich es zu einer Kugel zusammenknüllen, es quer durch den Raum werfen und die Leute anbrüllen, dass sie gefälligst nicht

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