Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
bringen und einige der Lücken dazwischen aufzufüllen. Sie sagte, der Tod meines Bruders habe die ganze Familie verstört, doch nun, da ich geheilt sei, würde es uns allen wieder gut gehen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es uns jemals nicht gut gegangen wäre, also bin ich glücklich. Ich hasse die Vorstellung, nicht mit meiner Familie zusammen zu sein.
Als meine Mutter – immer noch lächelnd – mein Frühstück vor mich stellt, bedanke ich mich. Aber ich habe nicht den geringsten Appetit. Dr. Warren hat mir gesagt, dass ich niemanden an der Sumpter High kennen würde – und falls ich tatsächlich einige der anderen gekannt haben sollte, so sind sie aus meinem Gedächtnis gelöscht, weil sie ebenfalls infiziert waren.
Also fange ich ganz von vorn an. Es ist wie ein neues Leben. Wie eine neue Sloane.
Kevin, mein Betreuer, steht vor dem Haus, um mich abzuholen. Er ist höflich, fast schon freundlich, dennoch habe ich das Gefühl, dass ich mich in seiner Nähe unbehaglich fühlen sollte. Aber er nimmt mir den Rucksack ab und hält die Autotür für mich auf. Und so hake ich meine Reaktion unter jenen »verwirrten Gefühle« ab, vor denen mich Dr. Warren gewarnt hat.
Kevin scheint nicht viel älter als ich zu sein, doch wir reden nicht viel miteinander, während er mich zur Sump ter High fährt. Und ich selbst bin auch wieder zu benebelt, um irgendetwas Wichtiges zu fragen. Ich fürchte, das liegt an dem Medikament.
Als wir ankommen, betrachte ich das große, weiße Gebäude der Highschool – und finde es ein wenig einschüchternd. Kevin parkt im hinteren Bereich und kündigt per Funk an, dass ich eingetroffen bin.
Einige Schüler gehen an uns vorbei zum Eingang, manche lachen miteinander, andere sind allein – und ich frage mich, ob ich ihnen schon früher begegnet bin. Das Gefühl eines Déjà-vu erfasst mich, und ich schaue weg. Ich bin irritiert.
»Bist du okay?«, fragt Kevin, und ich zucke erschrocken zusammen.
Ich blicke ihn von der Seite her an und sehe, dass er die hellen Augenbrauen besorgt zusammengezogen hat. Ich bin nicht sicher, wem ich mich anvertrauen kann oder was überhaupt real ist, doch außer ihm ist niemand da.
»Ich hab Angst«, gestehe ich. »Weil ich mir wie … wie von allem losgelöst vorkomme. Ist das normal?«
Kevins Gesichtsausdruck verändert sich nicht. »Ja, das ist ganz normal in deiner Situation. Das wird sich in den nächsten Wochen geben. Im Moment fügt sich dein Verstand immer noch zusammen. Du fängst noch so etwas wie Echos auf, von den leeren Stellen zwischen deinen Erinnerungen, und das gibt dir das Gefühl, irgendwie ausgehöhlt zu sein. Aber diese Lücken werden sich schließen. Die Medikamente werden dich dabei unterstützen.«
Seine Worte beruhigen mich nicht, stattdessen verspüre ich einen Anflug von Traurigkeit. Doch gleich darauf habe ich das Gefühl, als spüle warmes Wasser in meinem Inneren alle Befürchtungen weg.
»O Mann«, sage ich und lege eine Hand auf meine Brust.
»Das ist der Hemmstoff aus deinen Medikamenten«, erklärt Kevin. »Er unterdrückt die Panik. Du solltest vielleicht noch eine Pille nehmen, bevor du in deine Klasse gehst.« Er holt eine Pillenbox aus dem Handschuhfach und fischt mit den Fingern eine kleine weiße heraus, gibt sie mir. Dann reicht er mir eine Flasche Wasser.
Ich nehme die Pille und starre sie an.
»Und dieses Gefühl wird wirklich verschwinden?«, vergewissere ich mich. In mir spüre ich die unterschiedlichsten Empfindungen, doch es ist schwer zu sagen, welche meine eigenen sind und welche durch die Medikamente ausgelöst werden.
»Ja«, sagt Kevin. »Es wird sich einpendeln. Irgendwann.«
Ich blicke wieder aus dem Fenster, auf die anderen Schüler. Ich fühle mich leer, doch sie alle wirken ganz normal. Glücklich sogar. Und eines Tages werde ich genauso wie sie sein. Wenn der verdammte Nebel aus meinem Kopf verschwunden ist. Ohne noch länger darüber nachzudenken, schlucke ich die Pille und lasse mich von Kevin ins Schulgebäude führen.
»Hier ist dein Plan«, sagt Kevin. »Es dürfte nicht ganz einfach sein, in den einzelnen Fächern wieder Anschluss zu finden, aber alle deine Lehrer haben ihre Unterrichtspläne für dich angepasst, sodass du den Stoff aufholen kannst. Ich bringe dich in deine Klasse, bleibe während des Unterrichts da und gehe dann mit dir zur nächsten Stunde.« Kevins graue Augen mustern mich aufmerksam.
»Ich bin ein bisschen verwirrt«, sage ich, hole tief Luft und
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