Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
…«
Kevin zieht die Pillenbox aus seiner Tasche, entnimmt ihr eine weiße Pille. »Hier. Seit heute Morgen hast du keine mehr genommen. Du könntest dich wieder unbehaglich fühlen, wenn du auf sie verzichtest.«
Ich denke nach. Was passiert, wenn ich nicht genau das tue, was man mir vorschreibt? Würde man eine Weigerung als » Mist bauen « betrachten, besonders an meinem zweiten Tag?
Ich blicke mich in der Cafeteria um und frage mich, ob sich die anderen Rückkehrer an ihrem ersten Tag auch so verloren vorgekommen sind. Aber ich finde keine Antwort darauf, ich sehe lediglich, wie sie alle ihre Taschen nehmen und ihren Müll entsorgen, zu ihren Klassen eilen.
Und so schlucke ich die Pille.
2. Kapitel
Nachdem mich mein Betreuer zu Hause abgesetzt und mir gesagt hat, dass er mich gegen halb sieben wieder abholen wird, setze ich mich sofort an meine Hausaufgaben. Aber obwohl ich das Gefühl habe, dass ich einige der Antworten kennen sollte, verhaspeln sich meine Gedanken. Besonders, wenn es um Mathe geht. Als ob einige Regeln ausradiert worden sind und ich nur noch halbe Antworten geben kann. Irgendwann bin ich zu frustriert, klappe mein Heft zu und stelle den Fernseher an.
Ich bin nicht überrascht, auf Dateline eine Sondersendung über »Das Programm« zu sehen – es scheint inzwischen jeden Sender zu beherrschen. Selbst auf MTV , das früher eher billige Reality Shows brachte, sind nun ständig rührselige Geschichten über Teenager zu sehen, die vom »Programm« gerettet wurden. Ich frage mich, und das nur halb im Scherz, ob »Das Programm« inzwischen das gesamte Fernsehprogramm sponsert.
In ebendiesem Moment betritt der Reporter von Dateline eine Anstalt – dieselbe Einrichtung, in der auch ich war. Ich setze mich aufrechter hin, mein Herz klopft. Ich glaube, Schwester Kell zu sehen, die sich beeilt, der Kamera zu entkommen, und dann ist der Bildschirm von Sicherheitsleuten gefüllt.
»Sie dürfen sich hier nicht aufhalten«, sagt einer der Wachleute und schiebt die Kamera mit der Hand weg.
Doch der Reporter will nicht nachgeben, und plötzlich ist der Ton weg, der Bildschirm wird schwarz. Ich warte und frage mich, wie es weitergehen wird. Dann sieht man den Reporter hinter einem Schreibtisch sitzen, er schüttelt den Kopf.
»Als wir um eine Begründung gebeten haben, hat uns der Präsident des ›Programms‹, Arthur Pritchard, folgende Erklärung zukommen lassen: ›Die Wirksamkeit der Behandlung – die immer noch einen Erfolg von hundert Prozent aufweist – hängt davon ab, dass die Privatsphäre unserer Patienten gewahrt bleibt. Jede Einmischung könnte das Leben der Minderjährigen gefährden. Daher können wir weder über die Behandlung Auskunft erteilen noch allgemeinen Zugang zu unseren Einrichtungen gewähren.‹«
Ich stelle den Apparat aus und versuche mir vorzustellen, wie es gewesen sein mag, als diese Fernsehleute versucht haben, ins »Programm« einzudringen. Ob Shep und Derek noch da waren? Als ich mich dort befand, schien mir das Gebäude hermetisch abgeriegelt zu sein. Aber vielleicht ändern sich die Dinge.
Und einen Moment lang erfüllt mich Furcht. Was, wenn sie das Programm stoppten und wir die Einzigen sind, die verändert wurden? Wird man uns dann unser Leben lang als Außenseiter abstempeln? Hieße das, dass irgendetwas mit uns nicht in Ordnung ist? Ich fühle Panik in mir aufsteigen, doch dann spüre ich wieder das warme Wasser, das alles wegzuspülen scheint. Ich hole tief Luft. Die Furcht ist verschwunden. Ich schließe die Augen und lehne den Kopf gegen das Sofakissen.
Es ist irgendwie tröstlich, hier in diesem vertrauten Wohnzimmer zu sitzen, und doch werde ich das Gefühl nicht los, ich sollte eigentlich etwas ganz anderes tun. Als ob es wirklich ist und gleichzeitig … nicht. Ich bin erleichtert, als meine Mom mit ihren Einkäufen nach Hause kommt und ich ihr helfen kann, alles wegzuräumen, dankbar für die Ablenkung.
»Erzähl, wie war der erste Tag nach deiner Rückkehr?«, fragt mein Vater, der mir gegenüber am Esstisch sitzt. Seine Augen strahlen, und er lächelt mich an, bevor er ein Stück von seinem Steak isst.
Es ist seltsam, wie meine Eltern mich keine Sekunde aus dem Blick lassen. Als wäre ich ein Wunder, jemand, der aus dem Grab auferstanden ist. Gebannt lauschen sie jedem meiner Worte.
»Es war gut«, berichte ich, »wenn auch anfangs ein bisschen einschüchternd. Und ich habe schon eine neue Freundin gefunden.«
Meine Mutter strahlt und
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