Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
legt ihr Besteck hin. »Du hast schon eine Freundin gefunden?«
Sie tauscht einen erfreuten Blick mit meinem Vater. Und ich finde, es lässt mich wie ein absoluter Loser erscheinen, wenn meine Eltern so begeistert davon sind, dass ich eine Freundin gewonnen habe.
»Ihr Name ist Lacey«, fahre ich fort. »Wir haben mittags zusammen gegessen.«
Meine Mutter scheint zu erstarren, dann schiebt sie sich ein großes Stück Fleisch in den Mund.
Ich warte darauf, dass sie mich weiter ausfragt, doch sie sagt kein Wort. Ich starre auf meinen Teller und bemerke die weiße Pille, die neben meinem Glas liegt. Ich beschließe, dass ich nicht länger so benebelt sein will. Ich beschließe, dass ich sie nicht nehmen werde.
» Ich treffe mich heute Abend mit Lacey im Wellness Ce nter«, füge ich hinzu. »Mein Betreuer sagt, dass es gesund für mich ist, mit anderen Leuten zusammen zu sein.«
»Einverstanden«, sagt Vater, doch er klingt ein wenig zu fröhlich.
Ein komisches Gefühl erfasst mich, als ob ich eine … Ausgestoßene wäre. Meine Eltern benehmen sich so unnatürlich. Aber vielleicht bin ich es ja, die unnatürlich ist.
Ich würde mich am liebsten entschuldigen und auf mein Zimmer gehen, doch Mutter fängt nun wieder an, über »Das Programm« zu reden. Sie erzählt mir, dass man in England gerade die erste Gruppe von Rückkehrern entlassen hat. Sie scheint so stolz darauf zu sein – als ob Rückkehrer eine Art Elite wären.
Ich nicke an den passenden Stellen, während meine Gedanken rasen. Ich versuche, mich daran zu erinnern, was für ein Leben ich geführt habe, kurz bevor ich in »Das Programm« kam. Aber es tauchen immer nur dieselben alten Erinnerungen auf: mein Vater, der Brady und mich zum Eisessen ausführt; meine Mutter, die ein Halloweenkostüm näht … Immer und immer dieselben Bilder, bis schließlich meine Schläfen pochen. Ich höre auf, an die Vergangenheit zu denken, weil ich Angst habe, dass es Schaden anrichten könnte.
Dr. Warren war sehr unnachgiebig, wenn es darum ging, meine Gesundheit zu erhalten. Sie hat mich gewarnt, dass zu viele Reize die Rekonstruktion gefährden könnten, der sie meinen Verstand unterzogen haben. Es könnten Brüche in meiner Wahrnehmung der Wirklichkeit entstehen, bleibende psychische Schäden seien die Folge.
Aber was, wenn sie gelogen hat?
»Sloane«, sagt meine Mutter in den Strom meiner Gedanken hinein. »Du hast dein Essen ja gar nicht angerührt.«
Ich sehe sie an, sehe ihre Besorgnis und entschuldige mich, schneide mir dann ein Stück Fleisch ab. Doch ich kann es kaum hinunterschlucken, vor allem, als ich den kreidigen Nachgeschmack bemerke. Etwas, was Lacey gesagt hat, taucht in meinem Kopf auf: Ich bin ziemlich sicher, dass sie uns Beruhigungsmittel ins Essen geben .
Als meine Mutter wieder zu reden beginnt, wische ich mir den Mund mit der Serviette ab und spucke dabei unauffällig das Fleisch hinein. Vielleicht bin ich paranoid. Vielleicht drehe ich endgültig durch. Doch ich erwähne nichts dergleichen, frage nur, ob sie mich entschuldigen und ich auf mein Zimmer gehen darf, um mich fertig zu machen.
Meine Eltern scheinen enttäuscht, doch dann bittet meine Mutter mich, mein Geschirr wegzuräumen. »Und vergiss deine Pille nicht«, mahnt sie mich, als ich in die Küche gehen will.
Ich nehme die Pille und werfe sie mir in den Mund.
Doch kaum bin ich in der Küche, spucke ich sie in die Spüle und kratze das Essen von meinem Teller, entsorge es im Abfall. Und dann zermahle ich alles in winzig kleine Stücke.
Ich posiere vor dem Spiegel, drehe mich hin und her, um mein Aussehen zu begutachten. Sie haben meine gesamte Kleidung entfernt und durch neue Klamotten ersetzt, an denen noch die Preisschilder hängen. Es kommt mir seltsam vor, dass sie all meine Sachen, meine komplette Garderobe beseitigt haben. Glauben sie ernsthaft, ein altes T-Shirt würde einen emotionalen Absturz herbeiführen? Habe ich mich ganz in Schwarz gekleidet und den Eyeliner zu dick aufgetragen?
Ich kann mich nicht erinnern. Und so trage ich nun eine rosa Button-down-Bluse, die sich viel zu steif anfühlt, und einen Khaki-Rock. Ich wirke … schmerzhaft durchschnittlich.
Ich nehme die Bürste von meiner Kommode und fahre mir damit durchs Haar, kämme es zum Schluss an einer Seite hinter die Ohren.
Es ist schon fast halb sieben. Gleich wird Kevin kommen und mich zum Wellness Center fahren. Und doch hat sich Sorge in meine Gedanken geschlichen. Was läuft ab dort in diesem
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