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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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unveränderliches, unablässiges Raunen in die warme graue Abendluft aufsteigen ließ.
    Zwei junge Männer kamen von der Anhöhe des Rutland Square herunter. Der eine von ihnen beendete gerade einen langen Monolog. Der andere, der am Rande des Gehwegs ging und wegen der Achtlosigkeit seines Begleiters ab und zu gezwungen war, auf die Fahrbahn auszuweichen, lauschte ihm mit einem amüsierten Gesichtsausdruck. Er war untersetzt und rotwangig. Seine Schiffermütze hatte er weit zurückgeschoben, und die Geschichte, der er lauschte, rief beständig Wellen in seiner Mimik hervor, die sich über sein Gesicht ausbreiteten von den Flügeln seiner Nase und den Augen- und Mundwinkeln. Kleine Fontänen atemlosen Gelächters stiegen stoßweise aus seinem sich krümmenden Körper. Seine Augen, die mit hinterlistiger Freude zwinkerten, streiften immer wieder das Gesicht seines Freundes. Ein paarmal zog er den leichten Regenmantel zurecht, den er sich wie ein Torero über die eine Schulter geworfen hatte. Seine Hosen, die weißen Leinenschuhe und der lässigumgelegte Regenmantel drückten Jugendlichkeit aus. Aber um die Hüften herum neigte er zur Fülle, sein Haar war schütter und grau, und wenn die Wellen der Anteilnahme verebbt waren, wirkte sein Gesicht verbraucht.
    Als er sicher sein konnte, dass die Geschichte zu Ende war, lachte er lautlos eine ganze halbe Minute lang. Dann sagte er:
    – Also! ... Da bleibt mir die Spucke weg!
    Seine Stimme schien ihre Kräfte verloren zu haben; und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, fügte er scherzhaft hinzu:
    – Da bleibt einem ganz und gar, absolut und, wenn ich das mal so sagen darf, définitivement die Spucke weg!
    Er wurde ernst und still, nachdem er das gesagt hatte. Seine Zunge war müde, denn er hatte den ganzen Nachmittag über in einer Kneipe in der Dorset Street geredet. Die meisten Menschen hielten Lenehan für einen Schnorrer, aber trotz dieses Rufs hatten es seine Gewandtheit und Beredsamkeit stets verhindern können, dass seine Freunde sich geschlossen gegen ihn stellten. Wenn er einige von ihnen in einer Gastwirtschaft antraf, hatte er eine unverfrorene Art, sich so lange geschickt am Rande der Gruppe zu halten, bis jemand eine Runde ausgab und ihn dabei einschloss. Er ging herum und bot Sportwetten an, ausgerüstet mit einem endlosen Vorrat von Witzen, Limericks und Rätseln. Er war gegen Unhöflichkeiten jeder Art vollkommen unempfindlich. Niemand wusste, wie er die schwere Aufgabe des Lebens meisterte, aber man brachte seinen Namen auf unbestimmte Weise mit Pferderennen in Verbindung.
    – Und wo hast du sie aufgelesen, Corley?, fragte er.
    Corley fuhr sich mit der Zunge schnell über die Oberlippe.
    – Eines Abends ging ich die Dame Street entlang, Mann,und da seh ich unter der Uhr von Waterhouse * eine nette Mieze und sag Guten Abend, du verstehst schon. Also gingen wir ein bisschen am Kanal spazieren, und sie erzählt mir, dass sie Hausmädchen in der Baggot Street ist. Ich hab meinen Arm um sie gelegt und sie an diesem Abend ein bisschen geknutscht. Am Sonntag drauf, Mann, hab ich mich dann mit ihr verabredet. Wir sind raus nach Donnybrook gefahren, und da bin ich mit ihr in ein Feld gegangen. Sie hat mir erzählt, dass sie vorher mit einem Milchmann gegangen ist ... Es war toll, Mann. Jeden Abend hat sie mir Zigaretten mitgebracht und für die Straßenbahn hin und zurück bezahlt. Und an einem Abend hat sie mir zwei verdammt gute Zigarren mitgebracht – oho, erste Klasse, verstehst du, wie sie ihr Alter raucht ... Mann, ich hatte Angst, ich könnte ihr ein Kind machen, aber die weiß, wie’s geht.
    – Vielleicht glaubt sie, du willst sie heiraten, sagte Lenehan.
    – Ich hab ihr gesagt, dass ich keine Arbeit habe, sagte Corley. Ich hab gesagt, dass ich früher bei Pim’s * war. Meinen Namen weiß sie nicht. Ich bin zu helle, um ihr den zu sagen. Aber sie glaubt, dass ich was Besseres bin, du verstehst schon.
    Lenehan lachte wieder lautlos.
    – Ich hab schon viele gute Geschichten gehört, sagte er, aber bei der bleibt mir doch glatt die Spucke weg.
    Corley quittierte das Kompliment mit der Art, wie er ging. Das Wiegen seines massigen Körpers zwang seinen Freund mehrmals, leichtfüßig vom Gehsteig auf die Fahrbahn und wieder zurück zu springen. Corley war der Sohn eines Polizeiinspektors, und er hatte die Statur und den Gang seines Vaters geerbt. Er hielt sich beim Gehen kerzengerade, die Arme am Körper, und wiegte seinen Kopf hin und her. Sein

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