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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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fertigbringst? Du weißt, das ist eine heikle Sache. In dieser Beziehung sind sie sehr vorsichtig, stimmt’s? ... Was?
    Seine glänzenden kleinen Augen suchten Vergewisserung im Gesicht seines Gefährten. Corley schwang seinen Kopf hin und her, wie um ein lästiges Insekt loszuwerden, und zog die Stirn in Falten.
    – Ich krieg das schon hin, sagte er. Überlass das gefälligst mir.
    Lenehan sagte nichts mehr. Er wollte seinen Freund nicht so weit reizen, dass der ihn zum Teufel jagte, und sagte, er brauche seinen Rat nicht. Ein wenig Fingerspitzengefühlwar angebracht. Aber Corleys Stirn glättete sich bald wieder. Seine Gedanken gingen in eine andere Richtung.
    – Sie ist ein prächtiges Weibsbild, sagte er anerkennend, das muss man ihr lassen.
    Sie gingen die Nassau Street hinunter und bogen dann in die Kildare Street ein. Nicht weit vom Portal des Clubs * stand ein Harfenspieler auf der Straße, der für einen kleinen Kreis von Zuhörern spielte. Er zupfte gleichgültig die Saiten, und dabei sah er ab und zu jedem neu Dazugekommenen flüchtig ins Gesicht und ab und zu, ebenso überdrüssig, hinauf zum Himmel. Seiner Harfe * war es gleichgültig, dass ihr Umhang bis über die Knie herabgerutscht war, und sie schien der fremden Zuschauer ebenso überdrüssig zu sein wie der Hände ihres Meisters. Die eine Hand spielte im Bass die Melodie von Silent, O Moyle * , während die andere nach jeder Phrase im Diskant schwungvoll verzierte. Die Klänge der Weise schwangen tief und voll.
    Schweigend gingen die beiden jungen Männer ans Ende der Straße, und die schwermütige Weise folgte ihnen. Als sie Stephen’s Green erreichten, überquerten sie die Straße. Hier erlösten sie der Lärm der Straßenbahnen, die Lichter und die Menschenmenge von ihrem Schweigen.
    – Da ist sie!, sagte Corley.
    An der Ecke Hume Street stand eine junge Frau. Sie trug ein blaues Kleid und eine weiße Matrosenmütze. Sie stand am Randstein, in einer Hand locker einen Sonnenschirm schwenkend. Lenehan wurde lebhaft.
    – Sehen wir sie uns doch mal näher an, Corley, sagte er.
    Corley warf seinem Freund einen Blick von der Seite zu, und ein tückisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
    – Willst du mich ausbooten?, fragte er.
    – Blödsinn!, sagte Lenehan kühn. Ich will ihr ja nicht vorgestellt werden. Ich will sie mir bloß mal ansehen. Ich werd sie schon nicht auffressen.
    – Ach so ... Mal ansehen?, sagte Corley etwas versöhnlicher. Na ... ich will dir was sagen. Ich geh rüber und rede mit ihr, und du kannst an uns vorbeigehen.
    – Schön!, sagte Lenehan.
    Corley hatte schon ein Bein über die Absperrkette gesetzt, da rief Lenehan:
    – Und danach? Wo treffen wir uns?
    – Halb elf, antwortete Corley und zog das andere Bein nach.
    – Wo denn?
    – Ecke Merrion Street. Wir kommen zurück.
    – Mach deine Sache gut, sagte Lenehan zum Abschied.
    Corley gab keine Antwort. Er schlenderte über die Fahrbahn, den Kopf hin und her wiegend. Seine Größe, sein lässiger Gang und das kräftige Aufsetzen seiner Stiefel hatten etwas von einem Eroberer an sich. Er ging auf die junge Frau zu, und ohne zu grüßen begann er sofort ein Gespräch mit ihr. Sie schwenkte ihren Sonnenschirm schneller und drehte sich auf ihren Absätzen hin und her. Ein paarmal, als er, dicht vor ihr stehend, auf sie einredete, lachte sie und neigte den Kopf zur Seite.
    Lenehan beobachtete sie einige Minuten lang. Dann lief er schnell ein Stück weit an der Absperrkette entlang und ging schräg über die Straße. Als er sich der Ecke Hume Street näherte, nahm er einen starken Parfümduft wahr, und seine Augen prüften schnell und bang das Äußere der jungen Frau. Sie hatte ihre besten Sonntagssachen an. Ihr blauer Rock aus Serge wurde an der Taille von einem schwarzen Ledergürtel gehalten. Die große Silberschnalle des Gürtels schien ihre Körpermitte einzudrücken und raffte das leichte Gewebe ihrer weißen Bluse wie eine Klammer. Sie trug eine kurze schwarze Jacke mit Perlmuttknöpfen und eine fransige schwarze Federboa. Ihr kleiner Tüllkragen war kunstvoll zerzaust, und sie hatte einen großen Bundroter Blumen mit den Stielen nach oben an ihren Busen geheftet. Lenehan beäugte anerkennend ihren stämmigen kleinen Körper. Strotzende Gesundheit leuchtete aus ihrem Gesicht, ihren dicken roten Wangen und ihren kecken blauen Augen. Sie hatte grobe Züge. Ihre Nase war breit, ihre wulstigen Lippen waren leicht geöffnet und lächelten herausfordernd, und sie hatte

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