Dubliner (German Edition)
warmen Kaminfeuer zu sitzen und ein gutes Abendessen auf dem Tisch zu haben. Er war lange genug mit Freunden und mit Mädchen durch die Straßen gezogen. Er wusste, was diese Freunde wert waren: Auch diese Mädchen kannte er. Seine Erfahrungen hatten ihn mit Bitterkeit gegen die Welt erfüllt. Aber er hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Nach seiner Mahlzeit fühlte er sich besser als vorher, war seines Lebens weniger überdrüssig und nicht mehr so niedergeschlagen. Vielleicht würde es ihm doch noch gelingen, sich in einem behaglichen Eckchen niederzulassen und ein glückliches Leben zu führen, wenn ihm nur ein gutherziges schlichtes Mädchen über den Weg liefe, das etwas auf der hohen Kante hatte.
Er zahlte dem schlampigen Mädchen zweieinhalb Pennys und verließ das Lokal, um seine Wanderung fortzusetzen.Er wandte sich zur Capel Street und lief bis zum Rathaus: Dann bog er in die Dame Street ab. An der Ecke zur George’s Street traf er zwei Freunde und blieb stehen, um sich mit ihnen zu unterhalten. Er war froh, sich nach dem vielen Laufen etwas auszuruhen zu können. Seine Freunde erkundigten sich, ob er Corley gesehen habe und was es Neues gebe. Er antwortete, dass er den Tag mit Corley verbracht habe. Seine Freunde redeten wenig. Sie sahen ausdruckslos einigen Gestalten in der Menge hinterher und machten gelegentlich kritische Bemerkungen. Der eine sagte, er habe Mac vor einer Stunde in der Westmoreland Street gesehen. Darauf erklärte Lenehan, er sei am Abend zuvor mit Mac bei Egan’s gewesen. Der junge Mann, der Mac in der Westmoreland Street gesehen hatte, wollte wissen, ob es stimme, dass Mac beim Billard ein Sümmchen gewonnen habe. Lenehan wusste davon nichts: Er sagte, Holohan habe ihnen bei Egan’s ein paar Drinks spendiert.
Er verließ um Viertel vor zehn seine Freunde und folgte der George’s Street. Er ging nach links zum Markt und dann weiter zur Grafton Street. Es waren jetzt nicht mehr so viele junge Mädchen und Männer auf der Straße, und unterwegs hörte er öfter, wie Gruppen und Paare einander eine Gute Nacht wünschten. Er ging bis zur Uhr am College of Surgeons * : Es war jetzt genau zehn Uhr. Mit großen Schritten ging er an der Nordseite von Stephen’s Green entlang und beeilte sich, weil er fürchtete, Corley könnte früher zurück sein. Als er die Ecke des Merrion Square erreichte, stellte er sich in den Schatten einer Laterne, holte eine der Zigaretten hervor, die er sich aufgehoben hatte, und zündete sie an. Er lehnte sich an die Laterne und spähte unverwandt in die Richtung, aus der er Corley und die junge Frau zurückerwartete.
Sein Geist begann wieder zu arbeiten. Er hätte gerne gewusst, ob Corley Erfolg gehabt hatte. Er überlegte, ob Corleysie wohl schon gefragt hatte oder ob er damit bis zum letzten Augenblick warten würde. Er durchlitt sämtliche Qualen und Aufregungen der Lage, in der sich sein Freund befand, genauso wie seiner eigenen. Aber die Erinnerung an die langsamen Drehungen von Corleys Kopf beruhigten ihn ein wenig: Er war sich sicher, dass Corley die Sache durchziehen würde. Auf einmal kam ihm der Gedanke, dass Corley sie vielleicht auf einem anderen Weg nach Hause gebracht und ihn versetzt hatte. Seine Augen suchten die Straße ab: Es war nichts von ihnen zu sehen. Aber es war bestimmt eine halbe Stunde vergangen, seit er auf die Uhr am College of Surgeons geschaut hatte. Würde Corley denn so etwas tun? Er zündete seine letzte Zigarette an und rauchte sie unruhig. Jedes Mal, wenn eine Straßenbahn am anderen Ende des großen Platzes hielt, strengte er seine Augen an. Sie mussten einen anderen Heimweg gewählt haben. Das Papier seiner Zigarette riss, und mit einem Fluch warf er sie aufs Straßenpflaster.
Plötzlich sah er sie auf sich zukommen. Freudig zuckte er zusammen und versuchte, während er dicht an dem Laternenpfahl blieb, aus ihrem Gang abzulesen, was aus der Sache geworden war. Sie gingen schnell, und während die junge Frau rasche Trippelschritte machte, hielt sich Corley mit seinem großen Schritt an ihrer Seite. Sie schienen nicht zu sprechen. Eine Ahnung des Ergebnisses überkam ihn, scharf wie ein spitzer Gegenstand. Er wusste, dass Corley versagen würde; er wusste, da war nichts zu machen.
Sie bogen in die Baggot Street ein, und er folgte ihnen sogleich auf der anderen Straßenseite. Als sie stehen blieben, blieb auch er stehen. Sie wechselten einige Worte, dann stieg die junge Frau die Stufen zum Souterrain eines
Weitere Kostenlose Bücher