Dubliner (German Edition)
bildete, hatte er erfolglos versucht, darüber Witze zu machen. Als diese nicht gut ankamen, hörte er damit auf. Selbst er nahm die andächtige Stimmung wahr, und selbst er begann auf den religiösen Reiz zu reagieren. Mr Cunnigham machte Mr Kernan flüsternd auf Mr Harford, den Geldverleiher, aufmerksam, der in einiger Entfernung saß, und auf Mr Fanning, den Registrator der Stadt und Verantwortlichen für die Bürgermeisterwahlen, der unmittelbar unter der Kanzel neben einem der neu gewählten Stadträte dieses Bezirks saß. Auf der rechten Seite saßen der alte Michael Grimes, der drei Pfandleihen besaß, und Dan Hogans Neffe, der einen Posten in der Stadtverwaltung bekommen sollte. Weiter vorne saßen Mr Hendrick, der Berichterstatter des Freeman’s Journal , sowie der arme O’Carroll, ein alter Freund Mr Kernans, der zu seinerZeit einmal eine bedeutende Rolle in der Geschäftswelt gespielt hatte. Je mehr bekannte Gesichter er sah, umso mehr entspannte sich Mr Kernan. Seinen Zylinder, den seine Frau wieder instandgesetzt hatte, hielt er auf den Knien. Ein- oder zweimal zupfte er mit der einen Hand seine Manschetten zurecht, während er die Hutkrempe behutsam, aber fest mit der anderen hielt.
Man sah eine kraftvoll wirkende Gestalt, deren obere Hälfte in einen weißen Chorrock gehüllt war, mühsam zur Kanzel hinaufsteigen. Gleichzeitig erhob sich die Gemeinde, zog Taschentücher hervor und kniete sich behutsam auf diese. Mr Kernan folgte diesem Beispiel. Die priesterliche Gestalt stand nun aufrecht auf der Kanzel, wobei zwei Drittel der fülligen Figur, die von einem großen roten Gesicht gekrönt wurde, über der Balustrade sichtbar waren.
Father Purdon kniete nieder, dem roten Lichtfleck zugewandt, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und betete. Nach einer Weile nahm er die Hände vom Gesicht und erhob sich. Die Versammlung erhob sich ebenfalls und nahm wieder auf den Bänken Platz. Mr Kernan plazierte seinen Zylinder wieder auf den Knien und wandte dem Prediger ein aufmerksames Gesicht zu. Der Prediger schob die weiten Ärmel seines Chorrocks nacheinander mit großer, umständlicher Geste zurück und ließ seinen Blick langsam über die vielen Reihen von Gesichtern wandern. Dann sagte er:
Denn die Söhne dieser Welt sind klüger als die Söhne des Lichts gegenüber ihrem Geschlechte. Und ich sage euch: Machet euch Freunde mit dem Mammon der Ungerechtigkeit, dass, wenn ihr sterbet, sie euch in die ewigen Hütten aufnehmen. *
Father Purdon kommentierte den Text mit volltönender Selbstsicherheit. Dies sei, sagte er, eine der am schwerstenzu deutenden Stellen in der Heiligen Schrift. Es sei eine Stelle, die auf den ersten Blick im Widerspruch zu dem hohen moralischen Anspruch zu stehen scheine, den Jesus Christus anderswo verkünde. Aber, so sagte er seinen Zuhörern, dieser Text erscheine ihm besonders geeignet, denjenigen eine Anleitung zu geben, denen es aufgetragen sei, ein weltliches Leben zu führen, und die dennoch dieses Leben nicht wie Weltkinder führen wollten. Es sei eine Bibelstelle für Geschäftsleute und Männer in gehobener Position. Jesus Christus, dessen göttliches Verständnis bis in die letzten Winkel unseres menschlichen Wesens reiche, habe Verständnis dafür, dass nicht alle Menschen zu einem religiösen Leben berufen seien; dass weitaus die meisten gezwungen seien, in dieser Welt und bis zu einem gewissen Maß für diese Welt zu leben: Und mit diesen Worten habe er ihnen einen Rat erteilen wollen, indem er ihnen als Vorbilder religiösen Lebens gerade jene Anbeter des Mammon hinstelle, die sich von allen Menschen am wenigsten um religiöse Dinge kümmerten.
Er sagte seinen Zuhörern, dass er an diesem Abend nicht mit übertriebenen Absichten gekommen sei oder um Furcht zu wecken; sondern er sei als ein Mann von dieser Welt gekommen, der zu seinen Mitmenschen spreche. Er sei gekommen, um zu Geschäftsleuten zu sprechen, und er wolle dies auf geschäftsmäßige Weise tun. Er sei, sagte er, wenn sie ihm dieses Bild gestatten wollten, ihr geistlicher Buchprüfer; und er wünsche, dass ein jeder seiner Zuhörer seine Bücher offenlege, die Bücher seines geistlichen Lebens, und nachsehe, ob sie sich mit seinem Gewissen genau deckten.
Jesus Christus sei kein strenger Zuchtmeister. Er habe Verständnis für unsere kleinen Fehler, Verständnis für die Schwäche unseres sündigen Wesens, Verständnis für die Versuchungen dieses Lebens. Wir alle seien vielleicht, seien mit Gewissheit
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