Dubliner (German Edition)
Sohlen erinnerte ihn daran, dass ihr Bildungsgrad sich von seinem unterschied. Er würde sich nur lächerlich machen, wenn er Verse zitierte, die sie nicht verstehen konnten. Sie würden denken, dass er mit seiner höheren Bildung auftrumpfen wollte. Er würde beiihnen genauso schlecht ankommen wie bei dem Mädchen in der Vorratskammer. Er hatte sich im Ton vergriffen. Seine ganze Rede war von A bis Z ein Fehler, ein vollkommenes Desaster.
In diesem Augenblick kamen seine Tanten und seine Frau aus der Damengarderobe. Seine Tanten waren zwei kleine, schlicht gekleidete alte Frauen. Tante Julia war etwa einen Zoll größer als ihre Schwester. Ihr nach hinten gebundenes Haar, das die Ohren zur Hälfte bedeckte, war grau; und grau mit dunkleren Schatten war auch ihr großes schlaffes Gesicht. Sie war kräftig gebaut und hielt sich gerade, aber ihr träger Blick und der halb geöffnete Mund ließen sie wie eine Frau aussehen, die nicht weiß, wo sie ist und wohin sie will. Tante Kate war lebendiger. Ihr Gesicht, gesünder als das ihrer Schwester, war über und über mit Runzeln und Falten bedeckt wie ein verschrumpelter roter Apfel, und ihr Haar, das auf dieselbe altmodische Art geflochten war, hatte seine nussbraune Farbe nicht verloren.
Beide gaben Gabriel einen herzhaften Kuss. Er war ihr Lieblingsneffe, der Sohn ihrer verstorbenen älteren Schwester Ellen, die T. J. Conroy von der Hafen- und Dockbehörde geheiratet hatte.
– Gretta erzählt mir, dass ihr heute Nacht nicht mit einer Droschke zurück nach Monkstown fahren wollt, Gabriel, sagte Tante Kate.
– Nein, antwortete Gabriel und sah seine Frau an, davon haben wir seit letztem Jahr genug, stimmt’s? Erinnerst du dich nicht, Tante Kate, was für eine Erkältung sich Gretta dabei geholt hat? Die Droschkenfenster klapperten den ganzen Weg, und nachdem wir Merrion erreicht hatten, blies der Ostwind herein. Das war vielleicht ein Vergnügen! Gretta bekam eine furchtbare Erkältung.
Tante Kate machte ein strenges Gesicht und nickte bei jedem Wort.
– Ganz recht, Gabriel, ganz recht, sagte sie. Man kann nicht vorsichtig genug sein.
– Aber wenn es nach Gretta ginge, sagte Gabriel, dann würde sie zu Fuß durch den Schnee nach Hause laufen.
Mrs Conroy lachte.
– Hör nicht auf ihn, Tante Kate, sagte sie. Wir haben es wirklich nicht leicht mit ihm. Er ist ein schrecklicher Quälgeist und will, dass Tom nachts eine grüne Schlafbrille trägt und mit Hanteln turnt, und Eva zwingt er, Haferbrei zu essen. Das arme Kind! Sie kann Haferbrei nicht ausstehen! ... Ach, aber ihr kommt nie darauf, was ich seit Neuestem auf seinen Wunsch hin tragen muss.
Sie brach in helles Gelächter aus und warf ihrem Mann einen Blick zu, dessen Augen bewundernd und glücklich von ihrem Kleid zu ihrem Gesicht und Haar gewandert waren. Die beiden Tanten lachten ebenfalls herzlich, denn über Gabriels übertriebene Fürsorglichkeit wurden oft Witze gemacht.
– Galoschen!, sagte Mrs Conroy. Das ist das Allerneueste. Immer wenn der Boden nass ist, muss ich meine Galoschen anziehen. Sogar heute Abend wollte er, dass ich sie anziehe, aber ich habe mich geweigert. Als Nächstes wird er mir noch einen Taucheranzug kaufen.
Gabriel lachte gezwungen und strich sich beruhigend, um würdevolles Aussehen bemüht, über seine Fliege, während Tante Kate sich vor Lachen bog, so komisch fand sie diese Geschichte. Das Lächeln schwand bald aus Tante Julias Gesicht und ihre trübsinnigen Augen richteten sich auf das Gesicht ihres Neffen. Nach einer Weile fragte sie:
– Und was sind Galoschen, Gabriel?
– Galoschen, Julia!, rief ihre Schwester aus. Meine Güte, du weißt nicht, was Galoschen sind? Man trägt sie über ... über den Schuhen, stimmt’s, Gretta?
– Ja, sagte Mrs Conroy. Dinger aus Guttapercha * . Wir habenjetzt beide ein Paar. Gabriel behauptet, auf dem Kontinent tragen sie alle.
– So, auf dem Kontinent, murmelte Tante Julia und nickte bedächtig.
Gabriel runzelte die Stirn, und es klang etwas verärgert, als er sagte:
– Sie sind nicht besonders schön, aber Gretta findet sie schrecklich komisch, weil sie sagt, das Wort erinnere sie an die Christy Minstrels * .
– Aber sag mal, Gabriel, warf Tante Kate schnell ein, um das Thema zu wechseln, du hast dich natürlich um ein Zimmer gekümmert. Gretta sagte mir gerade ...
– Oh, das mit dem Zimmer ist in Ordnung, sagte Gabriel. Ich habe eines im Gresham reserviert.
– Ganz recht, sagte Tante Kate. Das ist bestimmt das
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