Dubliner (German Edition)
waren ganz hinten im ... Parterre, du weißt schon ... im ...
– Kirchenschiff, sagte Mr Cunningham.
– Ja, ganz hinten bei der Tür. Ich weiß nicht mehr, wovon ... Doch! Es ging um den Papst, den verstorbenen Papst. Ich erinnere mich genau. Es war großartig, kann ich euch sagen, der Stil seiner Rede. Und seine Stimme! Mein Gott, was für eine Stimme! Den Gefangenen des Vatikans * hat er ihn genannt. Ich weiß noch, dass Crofton beim Hinausgehen zu mir sagte ...
– Aber Crofton ist doch ein Orangeman * , oder?, sagte Mr Power.
– Natürlich, sagte Mr Kernan, und ein sehr anständiger Orangeman obendrein. Wir gingen anschließend zu Butler’s in der Moore Street – Gott! ich war ja so tief bewegt, das könnt ihr mir glauben – und ich hör ihn noch sagen: Kernan, sagte er, wir beten zwar an verschiedenen Altären , sagte er, aber unser Glaube ist derselbe. Das war sehr gut gesagt, fand ich.
– Da ist viel dran, sagte Mr Power. Wenn Father Tom die Predigt hielt, waren immer Scharen von Protestanten in der Kirche.
– Es ist doch kaum ein Unterschied zwischen uns, sagte Mr M’Coy. Wir glauben beide an ...
Er zögerte einen Augenblick.
– ... an den Erlöser. Nur dass die nicht an den Papst und an die Muttergottes glauben.
– Aber natürlich, sagte Mr Cunningham leise und wirkungsvoll, ist unsere Religion die Religion, der alte, ursprüngliche Glaube.
– Ohne Zweifel, sagte Mr Kernan eifrig.
Mrs Kernan erschien an der Schlafzimmertür und verkündete:
– Du hast Besuch!
– Wer ist es?
– Mr Fogarty.
– Ah! Komm rein! Komm rein!
Ein blasses ovales Gesicht kam ins Licht. Der Bogen seines blonden, herabhängenden Schnauzbartes wiederholte sich in den blonden Augenbrauen, die sich über sympathisch erstaunten Augen wölbten. Mr Fogarty betrieb ein bescheidenes Lebensmittelgeschäft. Als Gastwirt in der Innenstadt war er gescheitert, da seine finanziellen Verhältnisse ihn gezwungen hatten, Verträge mit zweitklassigen Brennereien und Bierbrauern abzuschließen. Er hatte einen kleinen Laden an der Glasnevin Road aufgemacht, wo er, wie er sich schmeichelte, wegen seiner liebenswürdigen Art bei den Hausfrauen der Umgebung beliebt war. Er bewegte sich mit einer gewissen Eleganz, lobte kleine Kinder und artikulierte seine Worte sehr deutlich. Er war nicht ganz ungebildet.
Mr Fogarty hatte ein Geschenk mitgebracht, ein Viertel speziellen Whisky. Er erkundigte sich höflich nach Mr Kernans Befinden, stellte sein Geschenk auf den Tisch und setzte sich zu den anderen wie zu seinesgleichen. Mr Kernan wusste das Geschenk umso mehr zu schätzen, als er nicht vergessen hatte, dass bei Mr Fogarty noch eine kleine Lebensmittelrechnung offenstand. Er sagte:
– Ich dachte mir, dass du kommst, alter Junge. Jack, mach doch mal die Flasche auf.
Wieder übernahm Mr Power die Rolle des Hausherrn.Gläser wurden ausgespült und fünf kleine Whisky eingegossen. Diese Erquickung belebte das Gespräch. Mr Fogarty, der nur wenig Platz auf seiner Stuhlfläche beanspruchte, zeigte besonderes Interesse.
– Papst Leo XIII., sagte Mr Cunningham, war einer der erleuchteten Köpfe seiner Zeit. Sein Plan war es, die katholische und die orthodoxe Kirche zusammenzuführen. Das war sein Lebensziel.
– Ich habe oft gehört, dass er einer der klügsten Männer Europas war, sagte Mr Power. Mal abgesehen davon, dass er Papst war.
– Ganz recht, sagte Mr Cunningham. Wenn er nicht sogar der klügste war. Sein Motto * , wie ihr wisst, als Papst war Lux über lux – Licht über Licht.
– Nein, nein, sagte Mr Fogarty eifrig. Ich glaube, das ist ein Irrtum. Es war, glaube ich Lux in tenebris – Licht in der Finsternis.
– Ja, richtig, sagte Mr M’Coy, tenebrae .
– Entschuldigt, sagte Mr Cunningham kategorisch, aber es war Lux über lux . Und das Motto seines Vorgängers, Pius IX., war Crux über crux , das bedeutet Kreuz über Kreuz – um den Unterschied zwischen ihren Pontifikaten zu betonen.
Die Schlussfolgerung wurde akzeptiert, und Mr Cunningham fuhr fort:
– Papst Leo, wisst ihr, war ein bedeutender Gelehrter und ein Dichter.
– Er hatte ein markantes Gesicht, sagte Mr Kernan.
– Ja, sagte Mr Cunningham. Er schrieb Gedichte auf Latein.
– Tatsächlich?, sagte Mr Fogarty.
Mr M’Coy nippte zufrieden an seinem Whisky und schüttelte in doppelter Absicht den Kopf. Dann sagte er:
– Das ist kein Spaß, kann ich euch sagen.
– Das hat man uns nicht beigebracht, Tom, sagte MrPower und folgte Mr M’Coys
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