Dubliner (German Edition)
seiner letzten Worte wiederholte, soweit sein Lachanfall dies zuließ.
*
Gabriel konnte nicht zuhören, während Mary Jane dem andächtig schweigenden Salon ihr Akademie-Stück * voller Läufe und schwieriger Passagen vorspielte. Er mochte Musik, aber das, was sie da spielte, hatte für ihn keine Melodie, und er bezweifelte, dass es für die anderen Zuhörer eine Melodie besaß, auch wenn sie Mary Jane gebeten hatten, etwas zu spielen. Vier junge Männer, die aus dem Zimmer mit den Erfrischungen herübergekommen waren, als sie das Klavier hörten, und sich in die Tür gestellt hatten, warenpaarweise nach wenigen Minuten wieder still gegangen. Die Einzigen, die der Musik zu folgen schienen, waren Mary Jane selbst, die ihre Hände über die Tasten fliegen ließ und sie in den kurzen Pausen hob wie eine Priesterin bei einer Beschwörung, und Tante Kate, die neben ihr stand und die Noten umblätterte.
Gabriels Augen, irritiert vom mit Bienenwachs polierten Fußboden, auf dem sich der schwere Kronleuchter glitzernd spiegelte, wanderten zur Wand hinter dem Klavier. Dort hing ein Bild, das die Balkonszene aus Romeo und Julia darstellte, und daneben ein Bild der beiden ermordeten Prinzen im Tower * , das Tante Julia mit roter, blauer und brauner Wolle gestickt hatte, als sie noch ein Kind war. Vermutlich wurden solche Fertigkeiten in der Schule unterrichtet, die sie als junge Mädchen besucht hatten, denn seine Mutter hatte ihm einmal zum Geburtstag eine Weste aus dunkelrotem Popelin gemacht, mit aufgestickten kleinen Fuchsköpfen und einem Futter aus braunem Satin und runden Knöpfen mit Maulbeer-Muster. Es war seltsam, dass seine Mutter unmusikalisch war, obwohl Tante Kate immer sagte, sie sei der klügste Kopf in der Familie Morkan. Sie und Julia schienen immer ein wenig stolz zu sein auf ihre ernste, matronenhafte Schwester. Ihr Foto stand vor dem Wandspiegel. Sie hielt ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien und zeigte darin etwas Constantine, der in einem Matrosenanzug zu ihren Füßen lag. Sie war es gewesen, die die Namen ihrer Söhne ausgesucht hatte, denn sie war sich der Würde des Familienlebens sehr bewusst. Ihr hatte es Constantine zu verdanken, dass er jetzt Vikar in Balbriggan war, und ihr hatte es Gabriel selbst zu verdanken, dass er an der Royal University studieren konnte. Ein Schatten flog über sein Gesicht, als er sich daran erinnnerte, wie störrisch sie sich seiner Heirat widersetzt hatte. Einige ihrer abschätzigen Bemerkungen wurmten ihn noch heute. Einmal hattesie Gretta als Landpomeranze bezeichnet, und das war Gretta ganz und gar nicht. Es war Gretta gewesen, die sie während ihrer langen letzten Krankheit in ihrem Haus in Monkstown gepflegt hatte.
Er merkte, dass Mary Jane ihr Stück fast beendet haben musste, denn sie spielte jetzt noch einmal die Anfangsmelodie und ließ jedem Takt Tonleiterläufe folgen. Während er das Ende abwartete, erstarb der Groll in seinem Herzen. Das Stück schloss mit einem Oktavtriller im Diskant und einer tiefen Oktave im Bass. Lebhafter Applaus dankte Mary Jane, als sie errötend und ihre Notenblätter verlegen zusammenrollend aus dem Zimmer flüchtete. Am heftigsten klatschten die vier jungen Männer an der Tür, die zu Beginn des Stückes in den Erfrischungsraum gegangen waren, um nebenan etwas zu trinken, aber zurückgekommen waren, als das Klavierspiel zu Ende war.
Man stellte sich zu einer Quadrille les Lanciers * auf. Gabriel sah sich Miss Ivors als Partnerin gegenüber. Sie war eine gesprächige junge Dame, die kein Blatt vor den Mund nahm, mit einem sommersprossigen Gesicht und leicht vorstehenden braunen Augen. Ihr Mieder war nur wenig ausgeschnitten, und die große Brosche vorn an ihrem Kragen trug eine irische Inschrift.
Als sie sich aufgestellt hatten, sagte sie unvermittelt:
– Mit Ihnen habe ich ein Hühnchen zu rupfen.
– Mit mir?, sagte Gabriel.
Sie nickte ernst.
– Worum geht es denn?, fragte Gabriel, der über ihre strenge Miene lächeln musste.
– Wer ist G.C.?, erwiderte Miss Ivors und richtete ihre Augen auf ihn.
Gabriel lief rot an und wollte schon die Stirn runzeln, als verstünde er nicht, da sagte sie geradeheraus:
– Ach, tun Sie nicht so unschuldig! Ich habe erfahren,dass Sie für den Daily Express * schreiben. Schämen Sie sich denn nicht?
– Warum sollte ich mich schämen?, frage Gabriel blinzelnd und versuchte zu lächeln.
– Ich schäme mich jedenfalls für Sie, sagte Miss Ivors unumwunden. Zuzugeben, dass Sie
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