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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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Beste. Und wegen der Kinder, Gretta, machst du dir keine Sorgen?
    – Ach, für eine Nacht, sagte Mrs Conroy. Außerdem passt ja Bessie auf sie auf.
    – Ganz recht, wiederholte Tante Kate. Wie beruhigend, wenn man so ein Mädchen hat; eins, auf das man sich verlassen kann. Hingegen diese Lily – ich weiß wirklich nicht, was in der letzten Zeit mit ihr los ist. Das Mädchen ist nicht mehr so wie früher.
    Gabriel wollte gerade seiner Tante dazu ein paar Fragen stellen, aber sie unterbrach ihn plötzlich und sah hinter ihrer Schwester her, die langsam die Treppe hinunterging und über das Geländer spähte.
    – Was sagt man dazu?, sagte sie leicht gereizt. Wo geht Julia nur hin? Julia! Julia! Wohin gehst du denn?
    Julia, die den ersten Treppenabsatz erreicht hatte, kehrte um und verkündete sanft:
    – Freddy ist hier.
    Gleichzeitig hörte man an dem Applaus und demSchlussakkord des Klaviers, dass der Walzer zu Ende war. Die Tür des Salons wurde von innen geöffnet, und mehrere Paare kamen heraus. Tante Kate nahm Gabriel schnell beiseite und flüsterte ihm ins Ohr:
    – Tu mir einen Gefallen, Gabriel, geh mal runter und sieh nach, ob er in Ordnung ist. Lass ihn nicht herauf, falls er einen Schwips hat. Ich bin sicher, dass er einen Schwips hat. Ich bin ganz sicher.
    Gabriel ging ans Treppengeländer und horchte nach unten. Er konnte zwei Personen hören, die sich in der Vorratskammer unterhielten. Dann erkannte er Freddy Malins’ Lachen. Geräuschvoll ging er die Treppe hinunter.
    – Ich bin ja so froh, sagte Tante Kate zu Mrs Conroy, dass Gabriel hier ist. Es beruhigt mich immer, wenn er hier ist ... Julia, Miss Daly und Miss Power brauchen eine kleine Erfrischung. Vielen Dank, Miss Daly, für diesen wunderschönen Walzer. Das Tempo war genau richtig.
    Ein großer Mann mit einem runzligen Gesicht, einem borstigen, grau melierten Schnurrbart und einem dunklen Teint kam mit seiner Tanzpartnerin heraus und fragte:
    – Und können wir auch eine Erfrischung bekommen, Miss Morkan?
    – Julia, sagte Tante Kate kurzerhand, hier sind auch noch Mr Browne und Miss Furlong. Führ sie bitte mit Miss Daly und Miss Power hinüber.
    – Ich bin der Mann für die Damen, sagte Mr Browne, spitzte seine Lippen, bis sich sein Schnurrbart sträubte, und lächelte mit allen seinen Falten. Wissen Sie, Miss Morkan, der Grund, weshalb ich bei ihnen so beliebt bin ...
    Er beendete seinen Satz nicht, als er sah, dass Tante Kate außer Hörweite war, sondern führte die drei jungen Damen sofort in das hintere Zimmer. Die Mitte des Raumes nahmen zwei quadratische Tische ein, die man zusammengeschoben hatte, und Tante Julia und der Hausmeister warendabei, ein großes Tischtuch darüber zu breiten und glatt zu streichen. Auf der Anrichte standen Teller und Schüsseln bereit sowie Gläser und Besteck. Auf dem geschlossenen Tafelklavier, das ebenfalls als Anrichte diente, waren verschiedene Speisen und Süßigkeiten aufgebaut. Bei einer kleineren Anrichte in einer Ecke standen zwei junge Männer und tranken Lager-Bier.
    Dorthin lenkte Mr Browne seine Schutzbefohlenen und lud sie alle spaßhaft zu einem Glas Damenpunsch ein, heiß, stark und süß. Als sie erklärten, sie tränken nie etwas Starkes, öffnete er drei Flaschen Limonade für sie. Dann bat er einen der jungen Männer, zur Seite zu treten, nahm die Karaffe und goss sich einen reichlich bemessenen Whisky ein. Die jungen Männer beobachteten ihn respektvoll, als er einen Probeschluck nahm.
    – Das ist weiß Gott genau das, sagte er schmunzelnd, was mir der Arzt verordnet hat.
    Das Lächeln auf seinem runzligen Gesicht wurde noch breiter, und die drei jungen Damen ließen auf seinen Scherz ein melodiöses Lachen folgen, bei dem sie sich nach allen Seiten bogen und ihre Schultern heftig zuckten. Die vorwitzigste von ihnen sagte:
    – Na hören Sie, Mr Browne, ich kann mir nicht denken, dass der Arzt Ihnen so etwas verordnet hat.
    Mr Browne nahm noch einen Schluck Whisky und sagte, indem er sich in Positur stellte:
    – Wissen Sie, mir geht es wie der berühmten Mrs Cassidy, die gesagt haben soll: Also, Mary Grimes, wenn ich’s nicht freiwillig nehme, dann zwing mich, denn ich spür, dass ich’s brauche.
    Sein erhitztes Gesicht hatte sich ein bisschen zu vertraulich nach vorne geneigt, und er hatte das in einem sehr breiten Dubliner Tonfall gesagt, sodass die jungen Damen seine Worte instinktiv mit Schweigen quittierten. Miss Furlong, die eine von Mary Janes Schülerinnen war,

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