Dubliner (German Edition)
Ecke des Raumes, wo Freddy Malins’ Mutter saß. Sie war eine korpulente, hinfällige alte Frau mit weißem Haar. Sie sprach stockend wie ihr Sohn und stotterte leicht. Man hatte ihr gesagt, dass Freddy gekommen war und dass mit ihm so weit alles in Ordnung sei. Gabriel erkundigte sich, ob die Überfahrt ruhig gewesen sei. Sie lebte bei ihrer verheirateten Tochter in Glasgow und besuchte Dublin einmal im Jahr. Sie antwortete bedächtig, sie habe eine sehr schöne Überfahrt gehabt und der Kapitän habe sich wirklich nettum sie gekümmert. Sie erwähnte auch das hübsche Haus, in dem ihre Tochter in Glasgow lebte, und ihre vielen netten Freunde dort. Während ihr Mund so weiterplapperte, versuchte Gabriel, die Erinnerung an den unerfreulichen Zwischenfall mit Miss Ivors aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Natürlich war dieses Mädchen oder diese Frau oder was immer sie sein mochte von ihrem Anliegen begeistert, aber alles zu seiner Zeit. Vielleicht hätte er ihr nicht so antworten sollen. Aber sie hatte nicht das Recht, ihn vor allen Leuten einen West-Briten zu nennen, und sei es auch im Spaß. Sie hatte versucht, ihn vor allen Leuten lächerlich zu machen, indem sie ihm so zugesetzt und ihn mit ihren Kaninchenaugen angestarrt hatte.
Er sah, wie seine Frau sich zwischen den Walzer tanzenden Paaren einen Weg zu ihm bahnte. Als sie bei ihm war, sagte sie leise:
– Gabriel, Tante Kate möchte wissen, ob du wie immer die Gans tranchieren wirst. Miss Daly schneidet den Schinken, und ich kümmere mich um den Pudding.
– In Ordnung, sagte Gabriel.
– Sie wird die jüngeren Leute zuerst hineinschicken, sobald dieser Walzer vorüber ist, sodass wir den Tisch für uns haben.
– Hast du getanzt?, fragte Gabriel.
– Natürlich. Hast du mich nicht gesehen? Worüber hast du dich denn mit Molly Ivors gestritten?
– Wir haben uns nicht gestritten. Wieso? Hat sie das behauptet?
– Etwas in dieser Art. Ich versuche, diesen Mr D’Arcy zu überreden, etwas zu singen. Ich glaube, der Mann ist schrecklich eingebildet.
– Wir haben uns nicht gestritten, sagte Gabriel mürrisch, sie wollte mich nur zu einer Reise nach Westirland überreden, und ich sagte, ich will nicht.
Seine Frau schlug entzückt die Hände zusammen und machte einen kleinen Luftsprung.
– Oh, sag doch Ja, Gabriel!, rief sie. Ich würde Galway so gerne wiedersehen.
– Du kannst ja hinfahren, wenn du willst, sagte er kalt.
Sie sah ihn einen Augenblick lang an, dann wandte sie sich an Mrs Malins und sagte:
– Was sagen Sie zu so einem Ehemann, Mrs Malins?
Sie suchte sich einen Weg zurück durch das Zimmer, während Mrs Malins, ohne die Unterbrechung zu beachten, damit fortfuhr, Gabriel von der Schönheit Schottlands und der schönen Landschaft zu berichten. Ihr Schwiegersohn fahre jedes Jahr mit ihnen an die Seen, und dort gingen sie angeln. Ihr Schwiegersohn sei ein sehr guter Angler. Einmal habe er einen Fisch, einen wunderschönen großen Fisch gefangen, und der Mann im Hotel habe ihn zum Abendessen gekocht.
Gabriel hörte kaum, was sie sagte. Die Essenszeit rückte näher, und er fing an, wieder über seine Rede und das Zitat nachzudenken. Als er Freddy Malins herüberkommen sah, um seine Mutter aufzusuchen, überließ er ihm seinen Stuhl und zog sich in die Fensternische zurück. Der Raum hatte sich bereits geleert, und aus dem hinteren Zimmer war das Klappern von Geschirr und Besteck zu hören. Die im Salon Verbliebenen schienen vom Tanzen ermüdet und unterhielten sich gedämpft in kleinen Gruppen. Gabriels warme zitternde Finger trommelten gegen die kalte Fensterscheibe. Wie kühl es draußen sein musste! Wie schön es wäre, allein einen Spaziergang zu machen, zuerst am Fluss entlang und dann durch den Park! Schnee würde auf den Ästen der Bäume liegen, und auf dem Wellington-Denkmal * würde er eine weiße Mütze bilden. Wie viel schöner es da draußen wäre als an der Abendtafel!
Er überflog die Stichworte für seine Rede: irische Gastlichkeit,traurige Erinnerungen, die drei Grazien * , Paris * , das Browning-Zitat. Er rief sich einen Satz in Erinnerung, den er in seiner Rezension geschrieben hatte: Man hat das Gefühl, einer Musik zu lauschen, die von Zweifeln gequält ist. Miss Ivors hatte diese Rezension gelobt. War das aufrichtig gemeint? Hatte sie überhaupt ein Eigenleben hinter all ihren Parolen? Bis zu diesem Abend hatte es nie Spannungen zwischen ihnen gegeben. Der Gedanke verunsicherte ihn, dass sie an der Tafel sitzen
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