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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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Namen sagen:
    – Gretta!
    Vielleicht würde sie ihn nicht gleich hören: Sie wäre dabei, sich auszukleiden. Dann würde sie etwas in seiner Stimme bemerken. Sie würde sich umdrehen und ihn ansehen ...
    An der Ecke der Winetavern Street fanden sie eine Droschke. Er war froh über ihr Rumpeln, weil es ihm ersparte, sich unterhalten zu müssen. Sie sah aus dem Fenster und wirkte müde. Die anderen sprachen nur wenige Worte, um auf ein Gebäude oder eine Straße aufmerksam zu machen. Das Pferd galoppierte lustlos unter dem verhangenen Morgenhimmel dahin, den rumpelnden alten Kasten dicht an seinen Hufen, und wieder saß Gabriel mit ihr in einer Droschke und galoppierte dem Dampfer, galoppierte den Flitterwochen entgegen.
    Als die Droschke über die O’Connell Bridge fuhr, sagte Miss O’Callaghan:
    – Es wird behauptet, man könne nicht über die O’Connell Bridge fahren, ohne ein weißes Pferd zu sehen.
    – Diesmal sehe ich einen weißen Mann, sagte Gabriel.
    – Wo?, fragte Mr D’Arcy.
    Gabriel deutete auf das Denkmal * , auf dem einige Schneereste lagen. Dann nickte er ihm leutselig zu und winkte.
    – Gute Nacht, Dan, sagte er gut gelaunt.
    Als die Droschke vor dem Hotel hielt, sprang Gabriel hinaus und bezahlte den Kutscher, ungeachtet des Protestes von Mr D’Arcy. Er gab dem Mann einen Shilling Trinkgeld. Der Mann salutierte und sagte:
    – Ein glückliches neues Jahr, Sir.
    – Das wünsche ich Ihnen auch, sagte Gabriel herzlich.
    Sie lehnte sich für einen Augenblick auf seinen Arm, als sie aus der Droschke stieg und während sie an der Bordkante stand und den andern eine Gute Nacht wünschte.Sie stützte sich ganz leicht auf seinen Arm, so leicht wie vor ein paar Stunden, als sie mit ihm getanzt hatte. Damals war er stolz und glücklich gewesen, glücklich darüber, dass sie zu ihm gehörte, stolz auf ihre Anmut und weibliche Erscheinung. Aber jetzt, nachdem so viele Erinnerungen in ihm aufgelodert waren, löste die erste Berührung mit ihrem Körper, so voller Musik und Geheimnis und Duft, ein fast schmerzhaftes Gefühl der Begierde aus. Im Schutz ihres Schweigens drückte er ihren Arm an sich; und als sie am Hoteleingang standen, schien es ihm, dass sie ihrem Leben und ihren Verpflichtungen entkommen waren, entkommen ihrem Heim und ihren Freunden, und gemeinsam mit wilden, glühenden Herzen die Flucht angetreten hatten zu einem neuen Abenteuer.
    Ein alter Mann döste in einem großen Ohrensessel in der Hotelhalle. Er zündete in der Loge eine Kerze an und ging ihnen voran zur Treppe. Sie folgten ihm schweigend, ihre Schritte auf dem dicken Teppich der Stufen waren kaum zu hören. Sie stieg hinter dem Portier die Treppe hinauf, den Kopf gesenkt, die schmalen Schultern gebeugt wie unter einer Last, den Rock eng gerafft. Er hätte seine Arme um ihre Hüften schlingen und sie festhalten mögen, denn seine Arme zitterten vor Verlangen, sie zu umfassen, und er konnte die wilde Sehnsucht seines Körpers nur bändigen, indem er seine Fingernägel in die Handflächen grub. Der Portier blieb auf der Treppe stehen, um seine tropfende Kerze zu richten. Sie blieben einige Stufen tiefer ebenfalls stehen. In der Stille konnte Gabriel das Tropfen des geschmolzenen Wachses hören, das in die Schale des Kerzenhalters fiel, und das Hämmern seines Herzens in seinem Brustkorb.
    Der Portier führte sie einen Korridor entlang und öffnete eine Tür. Dann stellte er seine wacklige Kerze auf einen Toilettentisch und fragte, um welche Zeit am Morgen sie geweckt zu werden wünschten.
    – Acht Uhr, sagte Gabriel.
    Der Portier deutete auf den elektrischen Lichtschalter und begann, eine Entschuldigung zu murmeln, aber Gabriel unterbrach ihn.
    – Wir brauchen kein Licht. Von der Straße bekommen wir genug Licht. Und noch etwas, setzte er hinzu und deutete auf die Kerze. Dieses hübsche Ding nehmen Sie wieder mit, seien Sie so gut.
    Der Portier nahm seine Kerze wieder an sich, aber zögernd, denn er war überrascht von diesem ungewöhnlichen Ansinnen. Dann wünschte er brummelnd eine Gute Nacht und ging. Gabriel schob schnell den Türriegel vor.
    Ein geisterhafter langer Lichtstreif der Straßenlampe reichte vom Fenster bis zur Tür. Gabriel warf Mantel und Hut auf eine Couch und ging quer durch das Zimmer hinüber zum Fenster. Er blickte hinunter auf die Straße, um seine Erregung etwas abklingen zu lassen. Dann wandte er sich um und lehnte sich mit dem Rücken zum Licht an eine Kommode. Sie hatte Hut und Umhang abgelegt und

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