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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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wohnte, sagte sie.
    – Das Lächeln wich aus Gabriels Gesicht. Ein dumpfer Zorn sammelte sich wieder tief in seinem Herzen, und das dumpfe Feuer seiner Begierde begann zornig in seinen Adern zu glühen.
    – Jemand, in den du verliebst warst?, fragte er ironisch.
    Es war ein Junge, den ich damals kannte, erwiderte sie. Er hieß Michael * Furey. Er sang dieses Lied oft, Das Mädchen von Aughrim. Er war sehr zart.
    Gabriel schwieg. Sie sollte nicht glauben, dass er sich für diesen zarten Jungen interessierte.
    – Ich sehe ihn noch genau vor mir, sagte sie nach einem Augenblick. Was hatte er für Augen: große, dunkle Augen! Und so ausdrucksvoll waren sie – so ausdrucksvoll!
    – Ach, dann warst du also in ihn verliebt?, sagte Gabriel.
    – Ich bin mit ihm gegangen, sagte sie, als ich in Galway wohnte.
    Ein Gedanke schoss Gabriel durch den Kopf.
    – War das vielleicht der Grund, weshalb du mit dieser Ivors nach Galway fahren wolltest?, sagte er frostig.
    Sie sah ihn an und fragte überrascht:
    – Wozu?
    Ihr Blick bereitete Gabriel Unbehagen. Er zuckte die Schultern und sagte:
    – Woher soll ich das wissen? Vielleicht um ihn zu sehen.
    Stumm wandte sie ihren Blick von ihm ab und sah den Lichtstreif entlang zum Fenster.
    – Er ist tot, sagte sie schließlich. Er starb, als er erst siebzehn war. Ist es nicht schrecklich, so jung sterben zu müssen?
    – Und was war er?, fragte Gabriel, immer noch ironisch.
    – Er hat im Gaswerk gearbeitet, sagte sie.
    Gabriel fühlte sich gedemütigt, weil seine Ironie wirkungslos geblieben war, und durch ihre Erweckung dieser Gestalt von den Toten, eines Jungen aus dem Gaswerk. Während er voll Erinnerungen an ihr gemeinsames geheimstes Leben gewesen war, voll Zärtlichkeit und Freude und Begehren, hatte sie ihn in Gedanken mit einem anderen verglichen. Eine beschämende Wahrnehmung seiner selbst überkam ihn. Er sah sich als eine lächerliche Figur, als Laufjungen für seine Tanten, als gutwilligen sentimentalen Schwächling, der vor Spießern große Reden hielt und seine grotesken Gelüste idealisierte, als den jämmerlichen, unnützen Kerl, den er im Vorübergehen im Spiegel gesehen hatte. Instinktiv drehte er seinen Rücken noch weiter aus dem Licht, denn sie sollte die Beschämung nicht sehen, die auf seiner Stirn brannte.
    Er versuchte, seinen frostigen Verhörton beizubehalten, aber als er sprach, klang seine Stimme demütig und farblos.
    – Ich nehme an, dass du in diesen Michael Furey verliebt warst, Gretta, sagte er.
    – Ich hab mich damals gut mit ihm verstanden, sagte sie.
    Ihre Stimme war verschleiert und traurig. Gabriel, der nun merkte, wie vergeblich es wäre, sie führen zu wollen, wie er es sich gedacht hatte, streichelte eine ihrer Hände und fragte, ebenfalls traurig:
    – Und woran ist er so jung gestorben, Gretta? Schwindsucht, nicht wahr?
    – Ich glaube, er ist meinetwegen gestorben, antwortete sie.
    Bei dieser Antwort wurde Gabriel von einer unbestimmten Furcht ergriffen, so als ob in dieser Stunde, da er zu triumphieren gehofft hatte, ein ungreifbares, rachsüchtiges Wesen sich gegen ihn erhob und in seiner nebelhaften Welt Kräfte gegen ihn mobilisierte. Aber mit einer Anstrengung der Vernunft machte er sich davon frei und streichelte weiter ihre Hand. Er stellte ihr keine weiteren Fragen, denn er ahnte, dass sie von sich aus erzählen würde. Ihre Hand war warm und feucht: Sie reagierte nicht auf seine Berührung, aber er streichelte sie weiter so, wie er den ersten Brief von ihr an jenem Frühlingsmorgen gestreichelt hatte.
    – Es war im Winter, sagte sie, zu Beginn des Winters, in dem ich meine Großmutter verlassen sollte, um hier in die Nonnenschule zu gehen. Er lag zu dieser Zeit krank in seiner Unterkunft in Galway, die er nicht verlassen durfte, und seine Familie in Oughterard wurde benachrichtigt. Es gehe mit ihm bergab, sagten sie, oder so ähnlich. Ich habe es nie genau erfahren.
    Sie schwieg einen Augenblick lang und seufzte.
    – Der arme Kerl, sagte sie. Er hatte mich sehr gern, und er war so ein sanfter Junge. Wir gingen zusammen, machten Spaziergänge, verstehst du, Gabriel, wie das auf dem Land so ist. Er hätte gerne Gesang studiert, wenn er gesund gewesen wäre. Er hatte eine sehr gute Stimme, der arme Michael Furey.
    – Ja, und dann?, fragte Gabriel.
    – Und dann, als es so weit war, dass ich Galway verlassen sollte, um auf die Nonnenschule zu gehen, da hat sich sein Zustand sehr verschlechtert, und sie wollten mich nicht zu

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