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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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Glücks flutete aus seinem Herzen.
    – Mr D’Arcy, sagte sie, wie heißt dieses Lied, das Sie gerade gesungen haben?
    – Es heißt Das Mädchen von Aughrim * , antwortete Mr D’Arcy, aber ich konnte mich nicht mehr richtig daran erinnern. Warum? Kennen Sie es?
    – Das Mädchen von Aughrim , wiederholte sie. Ich kam nicht auf den Namen.
    – Es ist ein wirklich hübsches Lied, sagte Mary Jane. Schade, dass Sie heute Abend nicht bei Stimme waren.
    – Bitte, Mary Jane, sagte Tante Kate, verärgere Mr D’Arcy nicht. Ich möchte nicht, dass er sich ärgern muss.
    Sie sah, dass alle zum Gehen bereit waren, und geleitete sie zur Tür, wo sie sich verabschiedeten.
    – Gute Nacht, Tante Kate, und vielen Dank für den schönen Abend.
    – Gute Nacht, Gabriel. Gute Nacht, Gretta!
    – Gute Nacht, Tante Kate, und ganz herzlichen Dank. Gute Nacht, Tante Julia.
    – Oh, Gute Nacht, Gretta. Ich habe dich nicht gesehen.
    – Gute Nacht, Mr D’Arcy. Gute Nacht, Miss O’Callaghan.
    – Gute Nacht, Miss Morkan.
    – Nochmals Gute Nacht.
    – Gute Nacht, alle miteinander. Kommt gut nach Hause.
    – Gute Nacht. Gute Nacht.
    Der Morgen war noch dunkel. Trübes gelbliches Licht lastete auf den Häusern und dem Fluss; und es war, als ob sich der Himmel herabsenkte. Der Boden war matschig, und auf den Dächern, der Quaymauer und den Gittern vor den Häusern lagen nur noch vereinzelt Streifen und Flecken von Schnee. Die Straßenlaternen brannten noch rötlich im Dunst, und auf der anderen Flussseite erhob sich drohend das Gerichtsgebäude in den bleischweren Himmel.
    Sie ging mit Mr Bartell D’Arcy vor ihm her, ihre Abendschuhe in einem braunen Päckchen unter einem Arm, während sie mit beiden Händen ihren Rock raffte, um ihn vor dem Matsch zu schützen. Ihre Haltung war nicht mehr anmutig, aber Gabriels Augen leuchteten dennoch vor Glück. Das Blut pulsierte heftig in seinen Adern, und in seinem Kopf schossen die Gedanken wild durcheinander, stolz, glücklich, zärtlich, kühn.
    Sie ging so leicht und so hoch aufgerichtet vor ihm, dass er am liebsten lautlos zu ihr gelaufen wäre, sie an den Schultern gefasst und ihr etwas Törichtes und Liebevolles ins Ohr geflüstert hätte. Sie erschien ihm so zerbrechlich, dass es ihn danach verlangte, sie vor etwas zu beschützen und dann mit ihr allein zu sein. Augenblicke ihres geheimen gemeinsamen Lebens, die ganz allein ihnen gehörten, leuchteten in seiner Erinnerung auf wie Sterne. Ein heliotropfarbener Umschlag lag neben seiner Frühstückstasse, und er strich zärtlich darüber. Vögel zwitscherten im Efeu, und Sonnenlicht fiel flimmernd durch das Gewebe der Gardine auf den Boden: Er war so glücklich, dass er nichtsessen konnte. Sie standen in der Menge auf dem Bahnsteig, und er steckte ihr eine Fahrkarte in das warme Innere ihres Handschuhs. Er stand mit ihr in der Kälte und beobachtete durch ein vergittertes Fenster einen Glasbläser, der an einem dröhnenden Schmelzofen stand und Flaschen herstellte. Es war eisig kalt. Ihr Gesicht, das in der Kälte duftete, war seinem ganz nahe; und plötzlich rief er dem Mann am Schmelzofen zu:
    – Ist das Feuer heiß, Sir?
    Aber wegen des Lärms des Schmelzofens konnte der Mann ihn nicht hören. Das war auch gut so. Seine Antwort wäre vielleicht grob gewesen.
    Erneut ergoss sich eine Woge der Zärtlichkeit aus seinem Herzen und flutete warm durch seine Adern. Wie zärtliche Sternenfeuer leuchteten Augenblicke ihres gemeinsamen Lebens, von denen niemand wusste und niemand je erfahren würde, in seiner Erinnerung auf und überglänzten sie. Er sehnte sich danach, sie an diese Augenblicke zu erinnern, sie die Jahre stumpfen Nebeneinanders vergessen zu machen, sodass sie sich nur an die gemeinsamen Augenblicke der Ekstase erinnerte. Denn er fühlte, dass die Jahre weder seine Seele noch ihre erstickt hatten. Ihre Kinder, seine Schriftstellerei, ihre Haushaltssorgen hatten das zärtliche Feuer ihrer Herzen nicht ganz ersticken können. In einem der Briefe, die er ihr damals schrieb, hatte er gesagt: Wie kommt es, dass mir diese Worte so stumpf und kalt vorkommen? Liegt es daran, dass es kein Wort gibt, das zärtlich genug wäre, um dich zu benennen?
    Wie ferne Musik kamen diese Worte, die er vor vielen Jahren geschrieben hatte, aus der Vergangenheit herauf zu ihm. Er sehnte sich danach, mit ihr allein zu sein. Wenn die andern gegangen waren, wenn er und sie in ihrem Hotelzimmer waren, dann würden sie allein zusammen sein. Er würde leise ihren

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