Duddits - Dreamcatcher
erst seit einer Viertelstunde weg – er war um fünf nach zwölf gegangen, und jetzt war es, Petes Armbanduhr zufolge, zwanzig nach zwölf –, und es kam ihm bereits wie anderthalb Stunden vor. Es würde ein verdammt langer Tag werden, und wenn er ihn überstehen wollte, ohne durchzudrehen (er musste an eine Geschichte denken, die sie in der achten Klasse gelesen hatten, von wem sie war, wusste er nicht mehr, nur dass der Typ in der Geschichte einen alten Mann umgebracht hatte, weil er dessen Blick nicht ertragen konnte, und damals hatte Pete das nicht verstanden, aber jetzt konnte er es voll und ganz nachvollziehen), brauchte er was zu trinken.
»Lady, hören Sie mich?«
Nada. Nur dieser unheimliche Blick.
»Ich muss zurück zum Auto. Ich habe was vergessen. Sie sind ja hier in Sicherheit, nicht wahr?«
Keine Antwort – und dann ließ sie noch einen dieser lang gedehnten Knatterfürze vom Stapel und verzog dabei das Gesicht, als täte es weh … Und das tat es wahrscheinlich auch: Was sich so anhörte, musste einfach wehtun. Und obwohl Pete darauf geachtet hatte, nicht im Wind zu sitzen, bekam er doch etwas von dem Gestank ab – heftig, übel riechend und irgendwie nicht menschlich. Es roch auch nicht wie ein Kuhfurz. Er hatte in seiner Jugend bei Lionel Sylvester gearbeitet, hatte jede Menge Kühe gemolken, und manchmal furzten sie einen halt an, wenn man da auf dem Melkschemel saß – ein üppiges, grünes Aroma, ein mooriger Geruch. Das hier roch nicht so, nicht im Mindesten. Das hier war wie … tja, es ähnelte dem Geruch, der dabei herauskam, wenn man als kleiner Junge seinen ersten Chemiebaukasten bekommen hatte und nach einer Weile gelangweilt war von den mädchenhaften kleinen Experimenten, die in der Anleitung beschrieben wurden, und einfach loslegte und den ganzen Kram zusammenmixte, nur um zu sehen, ob es wohl explodierte. Und auch das, wurde ihm klar, beunruhigte ihn und machte ihn nervös. Obwohl es Blödsinn war. Menschen explodierten ja schließlich nicht einfach so. Trotzdem brauchte er Hilfe. Denn die Tante hier ging ihm auf den Zeiger, und zwar mächtig.
Er nahm zwei der Holzstücke, die Henry gesammelt hatte, legte sie ins Feuer, haderte mit sich und legte dann noch ein drittes nach. Funken sprühten, stoben wirbelnd empor und erloschen am eingestürzten Teil des Wellblechdachs. »Ich bin wieder da, bevor das niedergebrannt ist, aber Sie können auch herzlich gern noch was nachlegen. Alles klar?«
Keine Reaktion. Er war schon drauf und dran, sie zu schütteln, aber zum Scout und zurück hatte er anderthalb Meilen Fußmarsch vor sich und musste seine Kräfte schonen. Und außerdem hätte sie wahrscheinlich ohnehin nur gefurzt. Oder ihm ins Gesicht gerülpst.
»Also gut«, sagte er. »Wer schweigt, ist einverstanden, hat Mrs. White in der vierten Klasse immer zu uns gesagt.«
Er stand auf, hielt sich dabei das Knie und verzog das Gesicht. Fast wäre er ausgerutscht und hingefallen, kam dann schließlich doch hoch, denn er brauchte ein Bier, verdammt, brauchte dringend ein Bier, und er war der Einzige, der es ihm holen konnte. Wahrscheinlich war er Alkoholiker. Nein, das hatte mit wahrscheinlich nichts mehr zu tun. Und vermutlich musste er irgendwann mal was dagegen unternehmen, aber jetzt war er ja erst mal auf sich allein gestellt, nicht wahr? Ja, denn mit dieser Schnalle war ja nichts mehr los, von der war weiter nichts übrig als stinkendes Gas und dieser unheimliche Blick. Wenn sie Holz nachlegen musste, dann musste sie das eben allein hinkriegen, aber das brauchte sie ja auch gar nicht, denn dann würde er längst zurück sein. Es waren nur anderthalb Meilen. Sein Bein würde ihn ganz bestimmt so weit tragen.
»Ich komme wieder«, sagte er. Er beugte sich vor und massierte sein Knie. Es war steif, aber nicht allzu schlimm. Wirklich nicht allzu schlimm. Er würde das Bier in eine Tüte packen – vielleicht noch eine Schachtel Hi-Ho-Cracker für die Schlunze, wenn er schon mal dabei war – und gleich wiederkommen. »Und Ihnen fehlt auch bestimmt nichts?«
Keine Reaktion. Nur dieser Blick.
»Wer schweigt, ist einverstanden«, sagte er noch einmal, ging zurück zur Deep Cut Road und folgte dabei der Schleifspur der Plane und ihren fast schon zugeschneiten Fußspuren. Er ging mit kurzen Schritten und blieb alle zehn oder zwölf Schritte stehen, um sich auszuruhen … und um sein Knie zu massieren. Einmal sah er sich noch zum Feuer um. Im grauen Mittagslicht sah es schon klein und
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