Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
Lebens an diesem Ort wieder möglich sein würde.
Die Menschen machten einen weiten Bogen um das Gebäude. Diejenigen, die auf seiner Seite der Gasse marschierten, wichen ihm aus. Sie mochten es aus Respekt vor der Trauer der Familie tun oder wegen der finsteren Blicke der Wachen. Ich blieb beim Bankhaus Nori, das ein paar Dutzend Schritte weiter südlich in der Gasse lag, stehen. Im Treiben vor der Bank fiel ich am wenigsten auf. Ich setzte mich auf das umlaufende Sims, nickte ein paar Männern zu, die sich bereits dort niedergelassen hatten und mich musterten, und versuchte, so auszusehen wie ein Bankkunde, der noch auf einen Geschäftspartner wartet. Ruhig zu sitzen fiel mir schwer. Ich hoffte, dass meine Geduld nicht auf eine allzu lange Probe gestellt würde. Meines Erachtens nach gab es nur einen Menschen in Florenz, zu dem Stepan Tredittore geflohen sein konnte, nämlich zu Kardinal Raffaelle Riario, doch dass ich mir über seinen Aufenthaltsort sicher war, hieß noch lange nicht, dass ich Janas ungeliebten Gehilfen auch bald wieder zu Gesicht bekommen würde. Ich dachte an den Platz vor San Lorenzo, keine zweihundert Schritte von hier entfernt, und fragte mich, ob man auch hier wie vor dem Palazzo della Signoria das Blut bereits vom Pflaster gewaschen hatte. Eigentlich dachte ich aber an Jana und – so wenig es mir auch willkommen war, dass meine Gedanken dorthin drifteten – an Beatrice Federighi.
Ihr Mann Matteo hatte den verschuldeten Rudolf Gutswalter aus dem Gefängnis geholt, und Antonio Pratini hatte ihm -vermutlich auf Drängen seines Schwagers – eine Chance gegeben. Innerhalb kürzester Zeit war Gutswalter zum Organisator, Finanzverwalter und Vertrauten Pratinis emporgestiegen. Entweder war er tatsächlich so gut, oder er hatte Pratini in der Hand, oder der alte Kaufmann hatte einfach einen Narren an ihm gefressen. Ich vermutete, dass es eine Mischung aus Ersterem und Letzterem war. Gutswalter hatte bis jetzt nicht immer mit offenen Karten gespielt, aber jemanden zu erpressen, um sich selbst Vorteile davon zu verschaffen, dazu schien er mir nicht fähig; dagegen sprach auch seine echte Anteilnahme am Schicksal seines sterbenden Mentors. Was mochten Pratinis Kinder von dieser Konstellation halten? Wie es schien, waren sie noch nicht einmal mündig. Vielleicht war Gutswalter dafür vorgesehen, das Geschäft an Pratinis Stelle zu führen, wenn dieser starb, bevor sein Sohn geschäftsfähig war. In diesem Fall musste dem jungen Finanzverwalter sehr daran gelegen sein, jegliches Unheil vom Haus Pratini abzuwenden. Ob er so weit gehen würde, eine eventuelle Geschäftskonkurrentin bei den Behörden zu verleumden, um sie auszuschalten, blieb jedoch zweifelhaft. Er hatte selbst gesagt, dass Jana in Florenz keine Gefahr für Pratini darstellte. Es hatte wie immer geklungen, als wüsste er mehr, als er preisgeben wollte. Aber womöglich lautete die Frage nicht, wie viel er wusste, sondern wie viel Beatrice wusste. Ganz offensichtlich hatte Gutswalter die Dankbarkeit für seine Rettung von Matteo Federighi auf seine Witwe übertragen, und ebenso offensichtlich waren sie sich darin einig, dass Antonio Pratini der beste Mensch auf Erden und gleich nach unserem Herrn Jesus Christus einzuordnen sei. Was immer die beiden an Wissen teilten und an Plänen schmiedeten, ich konnte mir keinen Reim darauf machen und ihre Reaktionen nirgends in dem schiefen Bild einordnen, das ich mir von den Vorgängen gemacht hatte.
Als das Mannloch in Lorenzo de’ Medicis Eingangstor aufgestoßen wurde und ein Fußtritt Stepan Tredittore unsanft auf die Gasse hinausbeförderte, war ich nicht nur wegen der immer schneller davonlaufenden Zeit erleichtert, sondern auch wegen der Unterbrechung meiner fruchtlos kreisenden Gedanken. Tredittore stolperte, fuhr herum und sah in die mitleidlosen Augen der beiden Wachen, die unwillkürlich einen Schritt zusammentraten und ihre Spieße fester packten. Er ließ den Kopf hängen und rieb sich mit einer schmerzlichen Miene das Hinterteil. Ich konnte sein Gesicht von hier aus kaum erkennen, aber seine Haltung war die eines Menschen, der einer vermeintlichen Einladung gefolgt ist und zu seiner Verwunderung festgestellt hat, dass niemand ihn haben will. Ich stand auf und trat in die Gasse hinaus. Ich brauchte ihm nicht einmal entgegenzugehen: Er trat mit immer noch hängendem Kopf den Rückweg in Richtung Dom an. Als er näher kam, sah ich, dass seine Wangen vor Scham wie Feuer brannten und dass
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