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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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kunstlos, oder eher, als würde die Kirche erst noch mit adäquaten Werken geschmückt werden müssen. Wie die Fassade wartete auch das Kirchenschiff darauf, dass Lorenzo de’ Medici einen Künstler fand, den er für würdig erachtete, seiner Heimatkirche den nötigen Glanz zu verleihen. Der Altarraum war leer; scheinbar hatte man die Körper von Giuliano de’ Medici und Francesco Nori umgebettet, damit die Kirche den normalen Messbetrieb wieder aufnehmen konnte. Das Kirchenschiff war beinahe ebenso leer. Entweder hatten sich die Bettler, die in der Regel in den Seitenschiffen herumlungerten, noch nicht eingefunden, oder man hatte sie gestern aus der Kirche entfernt, und sie hatten nicht gewagt, jetzt schon zurückzukommen. Es befand sich nur ein Mann in der Kirche. Er hatte zusammengekauert unter einem Bildnis der Muttergottes gelegen, als hätte er sie um Schutz und Beistand angefleht, bis ihn der Schlaf übermannte. Meine Schritte weckten ihn, und er hob den Kopf mit der Verwirrung dessen, der anderswo aufwacht, als er geglaubt hat. Plötzlich sprang er auf die Füße und wich zur Wand zurück. Offensichtlich war es ihm wieder eingefallen, wo er war und vor allem: warum.
    »Guten Morgen, Herr Tredittore«, sagte ich ruhig. Meine Stimme hallte in der Kirche wider, als hätte ich laut gerufen. Tredittore blinzelte und schüttelte den Kopf und schien mich erst jetzt zu erkennen. Seine Schultern sanken erleichtert herab, dann fiel ihm jedoch ein, wem er die Nacht in der Kirche zu verdanken hatte, und seine Haltung spannte sich erneut. Er sagte kein Wort, bis ich vor ihm stand. Seine Haare standen zu Berge, von seinem bleichen Gesicht hoben sich Bartstoppeln ab, und er war sichtlich durchgefroren. Neben der Stelle, an der er geschlafen hatte, lag ein halb voller Stoffsack mit seinen Habseligkeiten. Ich deutete auf das Marienbild.
    »Hat eine Nacht unter ihrem Blick Euch erleuchtet?«, fragte ich.
    »Ihr habt es nicht nötig, über mich auch noch zu spotten«, knurrte er aufgebracht. »Wie kommt Ihr überhaupt hierher?«
    »Ich wollte Euch aufsuchen.«
    »Woher habt Ihr gewusst, wo Ihr mich finden könnt?«
    »Wohin wendet sich ein Mann, der von den Behörden gesucht wird, wenn er keine Unterkunft mehr hat und nicht verhaftet werden will? Er sucht Asyl in der Kirche.«
    »Es hätte auch jede andere Kirche sein können. Oder habt Ihr die alle schon abgesucht?«
    Ich schüttelte den Kopf. Bei mir dachte ich: Es kann nur San Lorenzo sein. Es war schon ein Wunder, dass dich deine Beine in deiner Angst noch über den Platz getragen haben. Zu einer anderen Örtlichkeit hättest du es niemals geschafft. Aber ich hatte beschlossen, es geschickter anzupacken als gestern. »Ich hatte eben Glück«, sagte ich.
    »Und was wollt Ihr von mir? Wollt Ihr Euren Hohn über mir ausgießen? Ich dachte, wir sind miteinander fertig.« Er verzog verächtlich den Mund, als würde es ihn ohnehin nicht interessieren, welche Wünsche ich hätte, und als ob sein einziger Wunsch wäre, dass ich mich möglichst bald trollen würde. Aber er blieb aufrecht stehen, anstatt sich niederzusetzen und von mir abzuwenden, und seine Augen hingen an meinem Gesicht und straften seine Worte Lügen, indem sie deutlich sichtbar riefen: Gib mir noch eine Chance!
    »Ich will Euch noch eine Chance geben«, erklärte ich.
    Er schnaubte ungläubig. Als er seine Hände nervös gegeneinander rieb, sah ich, dass sie zitterten. Die Schatten unter seinen Augen waren fast so dunkel wie seine unrasierten Wangen. Er mochte in der Kirche gelegen sein, aber geschlafen hatte er sicherlich kaum.
    »Habt Ihr Federn, Tusche und Pergament dabei?«
    Tredittore nickte und bückte sich sofort, um in seinem Sack danach zu suchen. Erst als er einen Lederbeutel hervorzog und aufzuschnüren begann, kam ihm in den Sinn, dass seine Eilfertigkeit mehr als alles andere verraten hatte, wie groß seine Verzweiflung schon nach einer unsicheren Nacht im Schutz einer kalten Kirche war. Er sah vom Lederbeutel zu mir und zu dem Marienbildnis, auf dem sich Heilige und Weise mit den Allerweltsgesichtern der Bildstifter um die Heilige Jungfrau drängten und ihr und dem Kind auf ihrem Arm Geschenke darboten. Plötzlich sanken seine Schultern ganz herab, und er überreichte mir den Lederbeutel mit derselben demütigen Haltung wie die Gabenüberbringer auf dem Bild. Sein Körper hatte schon nachgegeben; nur in seinem selbst vom Schlafmangel nicht entstellten, hübschen Gesicht stritten sich Trotz und

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