Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
Seite erleben musstet? Um der Wahrheit willen? Um weitere Menschenleben zu retten?«
»Wenn Ihr die Wahrheit wissen wollt, keines davon.«
Er lächelte erneut, und sein Lächeln ließ sein blasses, fleckiges Gesicht, seine lange, platte Nase und seine unangenehme Stimme vergessen. »Um der Liebe willen?«
Ich lächelte zurück. »Manchmal wachse ich einfach nur über mich selbst hinaus.«
Er warf den Kopf zurück und lachte; ein Geräusch, das an diesem Ort so unüblich war, dass selbst der Folterknecht aus seinem Halbschlaf emporfuhr und Lorenzo anstarrte.
»Ein derartiges Risiko geht man wahrscheinlich ausschließlich aus Liebe ein«, sagte er. »Was, wenn ich nun tatsächlich Euren Brief ignoriert hätte, anstatt im angrenzenden Raum zuzuhören, wie Ihr meinen treuen Freund Battista aus der Fassung zu bringen versucht habt?«
»Dann wärt Ihr nicht der Mann gewesen, als den man Euch schildert.«
»Die Leute könnten lügen.«
»Ich habe Euch auf dem Platz gesehen, als man Stefano di Bagnone und Antonio Maffei brachte«, sagte ich. Sein Gesicht wurde ernst. »Ich habe Eure Reaktionen beobachtet. Die Leute lügen nicht.«
»Und nur auf diese Einschätzung hin habt Ihr Euch verhaften lassen? Ihr habt jede Menge Mut, Herr Bernward.«
»Wenn Ihr die Wahrheit wissen wollt«, erklärte ich nüchtern, »ich hatte noch einen Notnagel.«
Er zog die Brauen hoch. Ich lächelte. Er lächelte nach einer Weile mit. »Mut, der sich mit Umsicht paart, ist keine schlechte Mischung. Sie führt dazu, dass einem manchmal ein Hintertürchen bleibt.« Lorenzo sah sich um, als würde ihm die Einrichtung der Kammer zum ersten Mal bewusst. »Kein guter Ort, um ein klärendes Gespräch zu führen. Darf ich Euch und Eure Gefährtin in mein Haus einladen?«
»Ihr wollt uns aus dem Gefängnis holen, ohne meine Geschichte vorher zu hören?«, fragte ich erstaunt.
Er lächelte freundlich. »Wenn ich sie nicht glaube, ist es einfach, Euch wieder hierher bringen zu lassen, nicht wahr? Bis es soweit ist, will ich mich an den Grundsatz halten: in dubio pro reo.«
»Ihr seid ein großzügiger Mann. Würdet Ihr Eure Großzügigkeit auch auf die Zofe meiner Gefährtin ausdehnen, die noch oben im Kerker sitzt und nicht weiß, was aus uns in der Zwischenzeit geworden ist?«
»Ihr bittet für einen Dienstboten?«, fragte er mit unbewegter Stimme.
»Hat ein Dienstbote weniger Angst um sein Leben als ein Herr?«
»Soeben habt Ihr mir die letzte Bestätigung gegeben, dass es nur rechtens ist, Euch anzuhören.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lorenzo der Prächtige anders denkt.«
»Ich höre diesen Namen nicht gerne. Ich bin nicht prächtiger als alle anderen. Aber Ihr habt Recht mit dem, was Ihr sagt.«
Ich stand auf und trat einen Schritt auf ihn zu. Ich hörte, wie Frescobaldi scharf einatmete und sein Kollege überrascht aufsprang. Lorenzo wich nicht einen Millimeter zurück. Ich streckte die Hand aus und hielt sie ihm hin. »Ich freue mich, Euch endlich unter Umständen die Hand geben zu können, die einer Begegnung zweier Menschen würdiger sind als vorher.«
»Was für eine Unverschämtheit«, hörte ich Frescobaldi murmeln. Lorenzo ergriff meine Hand und drückte sie kurz. »Wenn sich bestätigt, was Ihr angekündigt habt, dann werde ich öffentlich verkünden, was ich Euch hier schon jetzt sagen möchte: Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen.«
»Ich werde Euch nicht enttäuschen«, sagte ich.
Lorenzo trat beiseite und beugte sich zu Jana hinunter, die unserem Gespräch mit einer für sie geradezu unüblichen Fassungslosigkeit gefolgt war. Er streckte eine Hand aus und half ihr auf. Als sie vor ihm stand, bot er ihr seinen Arm und führte sie hinaus. »Darf ich Euch einladen, mir zu folgen?«, fragte er mich.
»Vergesst nicht, dass wir Antonio Pratini brauchen«, erinnerte ich ihn.
»Nicht mehr nötig«, sagte Jana, die bereits halb durch die Tür war. »Da ist er schon.«
Pratini stand draußen auf dem Gang, wo ihn Lorenzo de’ Medici hatte stehen lassen. Seine Ohren glühten vor Zorn, als er meiner ansichtig wurde.
»Ihr…«, zischte er aufgebracht.
»Der Bau eines Hauses rettet Eure Seele nicht«, sagte ich müde zu ihm. »Aber zwei Menschen vor dem Galgen zu bewahren tut es.«
Der Palast der Familie Medici, den ich bisher stets von außen und verschlossen gesehen hatte, beherbergte hinter seinen trutzigen Mauern die Spielwiese eines reichen, geistvollen Mannes. Wir -Lorenzo, Pratini, Jana, ich und
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