Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
Vom Netzwerk:
Adresse getrieben. Nori war tot, und bis sich jemand von seinen Erben oder Nachfolgern daran machte, seine Korrespondenz zu lesen und eine Verbindung zu Jana herzustellen, würden die Raben längst damit begonnen haben, die Augen der Gehängten am Palazzo della Signoria zu fressen.
    Wir stolperten eine Treppe hinauf, an deren Fuß ein Bewaffneter stand und uns den Weg wies. Das Haus war ähnlich gebaut wie das von Piero Vespucci. Auf der umlaufenden Loggia und in den einzelnen Zimmern befanden sich genug Männer, sodass uns die Richtung bis in das große Schlafzimmer des toten Bankiers gezeigt wurde.
    Nori lag nicht in seinem Bett aufgebahrt; wahrscheinlich hatte man ihn zum Dank für sein Opfer neben den toten Giuliano in der Kapelle der Medici im nahen San Lorenzo gelegt. Dennoch war das Bett mit feinsten Tüchern bedeckt, so als läge er darin; an seiner Stelle befand sich ein halblanger Mantel, dessen Oberteil von braunem Blut befleckt war. Neben dem Bett saß eine bleiche Frau, die die Hand eines ebenso bleichen Knaben hielt. Zwei ältere Mädchen saßen etwas abseits. Alle vier waren in strenge Gewänder ohne jeglichen Schmuck gekleidet; ein Dutzend Männer und Frauen stand oder ging um sie herum und unterhielt sich gedämpft. Mir wurde klar, dass wir Noris Haus genau zu jenen Stunden aufgesucht hatten, in denen die entfernten Freunde und Verwandten die Witwe besuchten, um ihr Trost zu spenden. Ich sah in die Augen von Noris Frau und blickte gleich wieder zu Boden. Plötzlich ging mir der Schreck und die Trauer, die ich in ihrem Gesicht sah, nahe; und nicht nur, weil ich zu genau wusste, wie bitter sich der Verlust des geliebten Menschen anfühlte und wie dicht ich davor stand, diesen Schmerz ein zweites Mal zu erleben. Ich sah sie, aber in Wirklichkeit sah ich mich, wie ich nach dem Tod meiner Frau Maria versuchte, die Stunden zu überstehen, in denen meine Geschäftspartner mir ihr Mitgefühl ausdrückten – um mich danach zu verkriechen und zu sterben. Ihr Schmerz schlug eine Brücke zu meinem Schmerz, den Janas Liebe nach den langen Jahren der Trauer endlich gedämpft hatte, und ich schluckte und wusste, dass ich lieber selbst sterben würde, als dieses Leid nochmals durchzustehen.
    Ich habe nie behauptet, dass ich ein starker Mann wäre.
    Ich ging auf das leere, mit dem blutigen Mantel übervolle Bett zu.
    Noris Witwe folgte mir mit den Blicken. Ich streckte die Hand aus, und sie ergriff sie zögernd.
    »Ihr kennt mich nicht, und ich kenne Euch nicht«, sagte ich.
    »Euren Mann habe ich nur einmal gesehen, und das war im Augenblick seines Todes. Aber ich kenne Euren Schmerz und teile ihn. Verzeiht mir, dass ich Eure Trauer entehre.«
    Ich achtete nicht darauf, ob und was meine beiden Begleiter übersetzten. Ich sah an ihr vorbei, weil ich ihr nicht in die Augen sehen konnte, und als sie meine Hand losließ und ich sie senken wollte, fiel mein Blick auf eine weitere Hand und auf das ernste Gesicht des Knaben, der, sichtlich ohne zu wissen, was er tat, seine kleine Hand ebenfalls ausstreckte, um es der Mutter gleichzutun. Sie war heiß und trocken in meiner großen Pranke. Nur seine Augen waren feucht, so feucht wie meine.
    Stumm stapfte ich zurück zur Piazza del Duomo. Kleinschmidt und Tredittore übernahmen die Führung. Die winklige Straße der Handwerker, die zum Palazzo della Signoria führte, war bis auf die unvermeidlichen Patrouillen der Medici-Söldner und der Stadtwachen leer. Bei einer Kreuzung zweier breiterer Gassen bog Kleinschmidt nach rechts ab, zu einem Platz, der mit roh zusammengezimmerten oder schlecht gemauerten Marktbuden vollstand; über einem Brunnen erhob sich eine Säule, von der sich wiederum Seile nach allen Richtungen zu den nächsten Häuserwänden spannten. An den Seilen hingen Sonnensegel, etliche davon zerrissen. Sie wirkten auf mich wie Leichentücher. Der Markt war geschlossen, die finsteren Schluchten zwischen den Marktständen verlassen. Am jenseitigen Ende erhob sich eine offene Loggia mit Esstischen und Bänken über die Stände, auch sie so leblos wie der Platz, den sie bewachte. Wir schritten unwillkürlich schneller aus, um ihn hinter uns zu lassen.
    Kleinschmidt deutete nach vorn. »Da vorn ist das Haus des Bieco Alepri; es liegt am Mercato Vecchio, weil Alepri von der signoria mit der Einhaltung der Marktordnung betraut war.«
    »Ist das ein gutes Zeichen?«, fragte ich ohne große Leidenschaft.
    »Dafür, dass er ebenfalls nicht in die Verschwörung verwickelt

Weitere Kostenlose Bücher