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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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rechts von unserem bisherigen Weg abbog. Die Gruppe vor uns war geradeaus weitergelaufen. Ich sagte nichts dazu; ich verspürte nicht unbedingt Trauer darüber, dass unser eigener Weg uns von ihnen wegführte. Die Gasse, durch die Kleinschmidt uns brachte, war schmal und finster; viele der Häuser waren über die Gassenschlucht hinweg förmlich zusammengewachsen, sodass unser Weg unter Bogengängen hindurchführte, die so tief waren, dass sich darüber ganze Säle befinden mussten, und so niedrig, dass ein Reiter hätte absteigen müssen. Es war hier kühler als draußen in den breiteren Straßen, durch die wir bisher gekommen waren, und roch nach feuchtem Putz und Moos. Tredittore drehte den Kopf hin und her und schien zu horchen; auch ich meinte, ein Rauschen zu hören wie von vielen entfernten Stimmen. Die Gasse führte um eine scharfe Biegung, und wir rannten auf einen größeren Platz hinaus, auf dem der Lärm über unseren Köpfen zusammenschlug.
    Schräg gegenüber erhob sich die vollkommen eingerüstete, gedrungene Fassade einer Kirche; zur Linken ragte der Turm eines festungsartigen palazzo in die Höhe. Dazwischen drängelte und rempelte jede Menge Volk und versuchte, zur Brücke zu gelangen. Einen Augenblick fürchtete ich, dass sich hier ein neues Nest der Aufständischen gebildet hatte, die nun das Haus mit dem Turm belagerten, aber dann blickte ich in die Gesichter und sah, dass die meisten lachten und über ihren Flüchen grinsten. Es war ein böses Lachen, und es war ein böses Grinsen, aber es war kein Aufstand. Vielmehr schien etwas bei der Brücke zu sein, das den Hohn der Männer und Frauen anzog. Kleinschmidt machte einen Schritt rückwärts in die Gasse hinein. Ich drehte mich zu ihm um und gewahrte, dass Stepan Tredittore mit ihm auf gleicher Höhe war. Wut auf meinen eigenen Schrecken flackerte in mir hoch, doch noch mehr Wut auf die beiden, die sich fast auf die Füße traten in ihrem Bemühen, sich zurückzuziehen. Ich stapfte los und mischte mich in die Menge hinein, ohne mich darum zu kümmern, ob die beiden mir folgten oder nicht.
    Es waren Männer und Frauen jeden Alters und nicht wenige Kinder unter ihnen. Nach der Stille der Gassen im Herzen der Stadt war ihre Anzahl überraschend. Es wirkte, als wären die meisten hierher gelaufen und hätten die Stadt verwaist zurückgelassen. Das Flussufer war hier steil und schwarz vor Menschen. Auf der Brücke wimmelten sie und drängten sich gegenseitig; selbst auf dem Dach der Brückenkapelle saßen zwei junge Männer und deuteten ins Wasser hinab. Wer nahe genug am Ufer oder an der steinernen Brüstung der Brücke stand, schwang die Fäuste. Als ich näher kam, sah ich, dass sie Steine und andere Wurfgeschosse darin hielten. Der Lärm tobte; es hörte sich eher an wie das begeisterte Rufen der Zuschauer bei einem Stechen über die Planken.
    Ein Kind begann weiter vorn zu weinen, und eine junge Frau riss es an sich und drängte sich nach hinten aus der Menge heraus. Ich schlüpfte in die Lücke, die sie hinterlassen hatte. Vorwärts zur Brücke kam ich nicht; die Menge verschob sich, und plötzlich stand ich direkt an der Hangleite und konnte zum Fluss hinuntersehen.
    Er schwamm fast direkt unter mir. Er hatte kein Gesicht mehr, aber das Wasser hatte das lange weiße Haar wieder reingewaschen, sodass man ihn erkennen konnte. Unten war das Ufer unregelmäßig ausgetreten, ein schmaler Pfad, den die Frauen der Armen zum Waschen benutzten, mit steinigen kleinen Landzungen, wo sie aus Flusskieseln versucht hatten, flache Becken zu bauen, damit die Wäsche nicht davongeschwemmt wurde. Die Steine hatten auch Jacopo de’ Pazzis Leichnam aufgehalten, der zusammengekrümmt im Wasser lag, als versuche er, sich vor den Wurfgeschossen zu schützen, die die Menge über ihm abfeuerte. Die Steine prallten dumpf auf, ohne Male auf der toten Haut zu hinterlassen; dennoch schien der Körper zusammenzuzucken. Rings um ihn trieben verfaulende Salatköpfe und anderes Obst und Gemüse. Ich wusste, dass er schon seit vielen Stunden tot war, aber die Steinigung des Leichnams weckte in mir die gleichen Gefühle, als hätte ich der Steinigung eines lebenden Menschen zugesehen. Ich versuchte, mich zur Brücke durchzudrängen, doch statt nachzugeben, drückte die Menge hinter mir nur noch stärker heran. Der Lärm steigerte sich zu einem Klatschen. Ich wurde angerempelt und zugleich gezogen, und so öffnete sich neben mir eine Gasse, durch die zwei Männer mit verzerrten

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