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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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eingelassenen Platte und spürte plötzlich, wie mich etwas anrührte, das ich in den letzten zwei Jahren nicht mehr allzu oft verspürt hatte. Es mochte an dem Gespräch mit Antonio Pratinis Schwester liegen; oder an den Briefen Marias, die ich gelesen hatte. Der Friedhof war für ungetaufte Neugeborene bestimmt. Mein jüngstes Kind wäre hier begraben, wenn ich damals in Florenz gelebt hätte. Bevor Jana in mein Leben getreten war, hatte es keinen Tag gegeben, an dem ich nicht mit verbissenem Schmerz an seinen Tod und den Tod meiner Frau gedacht hatte. Seitdem war die lähmende Trauer um Maria großteils dem Bewusstsein gewichen, dass ich mich an die schönen Jahre mit ihr erinnern sollte statt an die schrecklichen Jahre nach ihrem Verlust; und die Trauer um das namenlose Kind dem leisen Schmerz, dass es niemals die Chance gehabt hatte, das Leben kennen zu lernen -und der Hoffnung, dass seine Seele einen schöneren Ort erreicht hatte.
    Heute fühlte ich den Schmerz plötzlich wieder. Er war anders als früher; er war nicht so hoffnungslos, tat jedoch trotzdem weh. Ich drückte gegen die Tür der Kirche und fand sie nicht verschlossen. Im Inneren brannten ein paar Kerzen vor dem Altar, Anzeichen, dass es neben der Staatstrauer um den ermordeten Giuliano auch noch Anlass zu ganz privatem Schmerz gab. Die Kirche war eng, zwei Säulenreihen, die ein schmales Mittelschiff von den Seitenschiffen abgrenzten und nach oben zu einer offenen Decke führten, deren Balken bunt bemalt waren. Vor dem Altar stand eine kleine Bank, auf der man sich niederknien konnte. Ich entzündete eine Kerze und stellte sie zu den anderen.
    »Für dich«, sagte ich und wurde mir zum tausendsten Mal bewusst, dass ich dem Kind niemals einen Namen gegeben hatte; weder vor Gott noch in meinem Herzen.
    Die Bank war für kleinere und leichtere Leute gemacht als mich. Ich suchte nach Worten für ein Gebet und tat mich wie üblich schwer damit. Dies hatte mir Jana nicht zurückgeben können; der Verlust meines Mentors während der Augsburger Jahre, Bischof Peter, und der Verlust meiner Frau hatten das Gespräch mit Gott nachhaltig schwierig gemacht. Meine Gedanken waren ein Strudel aus Angst um Jana und Verzweiflung über meine Unfähigkeit, auch nur irgendetwas für sie tun zu können. Langsam schwamm die Erinnerung an meine Worte zu Kleinschmidt empor: Janas Schuld. War ich wirklich davon überzeugt? Wie viel Unglück brachte es, nur daran zu denken? Und wenn ich mir Beatrices Aussage vor Augen hielt: Was für eine Rolle spielte es? Ich stand hastig auf und bekreuzigte mich. Als ich die Tür öffnete, flackerten die Kerzen; der Luftzug blies ein paar davon aus. Ich versuchte nicht festzustellen, ob die Kerze, die ich aufgestellt hatte, darunter war.
    Lapo Rucellai war nicht draußen, und er kam auch nicht, während ich langsam den Platz ermaß und meine Schritte in der nächtlichen Stille widerhallten. Ich konnte nicht abschätzen, wie viel Zeit vergangen sein mochte, aber meine Zweifel wuchsen, dass er noch kommen würde. Schließlich dachte ich daran, was ich sagen würde, wenn eine Patrouille mich entdeckte und fragte, was ich hier zu so später Stunde vorhatte. Ich begann, Lapo zu verfluchen, nahm mir vor, noch eine Runde um den Platz zu stapfen, stellte fest, dass der Platz wirklich sehr klein war, und hängte eine zweite Runde dran – nur um sicherzugehen. Lapo erschien auch nach der dritten Runde nicht. Der Fluss gluckerte träge hinter der Kirche. Wie es schien, hatte den Spezialisten etwas aufgehalten, oder der Mut hatte ihn verlassen. Vielleicht hockte er in seiner winzigen Studierstube und ging mit sich zu Rate, ob er sich mit seinem Angebot nicht zu weit vorgewagt hatte, während ich auf diesem engen Platz auf und ab lief und meine Zeit vertrödelte. Ich bemerkte, dass mir kühl wurde; aber den Ausschlag gab schließlich der schwarze Schatten, der über den Platz huschte und alles von einer Ratte bis zu einer Katze gewesen sein konnte. Ich stieß die Luft aus und verließ den Treffpunkt, um Lapo zu Hause aufzusuchen.
    Ich ging den Weg mit klopfendem Herzen. Er führte mich durch die engsten Gassen von Florenz, durch die ich bisher gegangen war, aber ich nahm an, dass ich mich so vor einer Patrouille am besten verstecken konnte. Als ich über die breite Straße wechseln musste, die vom Fluss in gerader Richtung zum Palazzo della Signoria führte, huschte ich darüber wie ein Verbrecher und tauchte hinter der Kirche neben dem Palazzo in das

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