Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
dort fällen und nicht«, sie deutete auf meinen Kopf, »hier.«
Ich setzte zum Sprechen an, doch sie unterbrach mich. »Ich bin Euch hoffentlich nicht zu nahe getreten. Von meinem Bruder weiß ich, dass Ihr und Monna Jana nicht nur Geschäftspartner seid. Entschuldigt. Antonio und ich gehen sehr offen miteinander um.«
»Kein Grund für eine Entschuldigung.«
»Es ist mutig, von Euch wie von ihr, das Leben auf diese Weise miteinander zu teilen. Ich stelle es mir schwierig vor.«
Ich zuckte mit den Schultern. Sie lächelte erneut. »Wobei es selbstverständlich keine Rolle spielt. Das heilige Ehesakrament und die Dokumente der Behörden sind sinnvoll, solange die Eheleute sich noch nicht kennen. Wenn die Liebe erst erwacht ist, werden sie aber vollkommen überflüssig. Ich beneide Euch fast, dass Ihr die Liebe scheinbar schneller gefunden habt als den Weg zum Priester.«
Ich erinnerte mich, dass sie gesagt hatte, ihr Mann sei vor einem Jahr verstorben. »Es tut mir Leid, dass dieses Licht in Eurem Leben erloschen ist«, sagte ich. »Ich weiß, was das bedeutet. Bevor ich Jana kennen lernte, wanderte ich durch ein langes, tiefes Tal und war mir nicht sicher, ob ich noch zu den Lebenden gehörte oder zu ihnen gehören wollte.«
Ihre Stimme klang belegt, als sie sagte: »Ihr beschreibt meine Gefühle mit schmerzhafter Treffsicherheit.«
»Meine Frau Maria starb vor zehn Jahren. Ich empfand damals das Gleiche wie Ihr.«
Sie nickte. »Monna Jana hat Euch dem Leben wiedergegeben.«
»Genau so sehe ich es«, sagte ich überrascht.
»Dann seid Ihr ihr dieses Leben schuldig, ganz gleich, ob Ihr sie für unschuldig haltet oder nicht. Was Ihr danach tut, ist etwas anderes. Aber Ihr müsst zumindest versuchen, ihre Unschuld zu beweisen.«
Sie gab mir die Hand; ich ergriff sie und fühlte ihre Wärme und ihren festen Händedruck.
»Ich wünsche Euch alles Glück«, sagte sie. »Wenn ich Euch helfen kann, lasst es mich wissen.«
»Habt Ihr sie im Gefängnis wirklich nicht gesehen?«
»Ich habe den Alten und Kranken unter den Gefangenen Nahrung und Medikamente gebracht – jenen, die nicht wegen eines Verbrechens einsitzen, sondern weil sie ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Es gibt keinen Grund, ihnen menschlichen Beistand zu verweigern.«
»Aber diejenigen, die wegen des Aufstands verhaftet wurden…?«
»Es gibt verschiedene Räumlichkeiten. Dort, wo die Unglücklichen warten, die bereits zur peinlichen Befragung vorgesehen sind, war ich nicht.«
Ich verzog das Gesicht. »Auf diese Information habe ich nicht gerade gewartet.«
»Es tut mir Leid«, sagte sie. Ich drückte ihre Hand nochmals und eilte davon.
Bis ich den Bau von Or San Michele erreichte oder was ich dafür hielt, hatten die Schatten endgültig von den Gassen Besitz ergriffen. Die Figuren in den Nischen waren schwarz und gesichtslos. Beatrices Worte klangen in mir nach; sie bestätigten, was Gutswalter mir mitgeteilt hatte. Meine Füße brannten bereits vom schnellen Gehen in den dünnen Schuhen, aber ich kam immer noch nicht schnell genug vorwärts. Ich bog in die kleinen Gassen dahinter ab und hörte Lärm von jungen Männerstimmen und ging langsamer, aber es waren nur ein paar Jünglinge, die putz- und farbverschmiert und mit Lederbeuteln, großen Malkartons und Teilen eines Holzgerüstes aufgepackt waren wie Lasttiere. Sie kamen aus der Gegenrichtung, und ich erinnerte mich, dass die Kirche, die am Anfang der Brücke Santa Trinità stand, zum Teil eingerüstet war. Die jungen Männer lachten und scherzten und sperrten die Tür zu einer Art Werkstatt auf, in die sie verschwanden. Lehrlinge und Gesellen eines Freskomalers, die sich sichtlich nicht um die Politik scherten. Sie schlugen die Tür hinter sich zu, und die Gasse war leerer und verlassener nach ihrem Verschwinden.
Santissimi Apostoli war eine kleine Kirche am Südostrand eines ebenso kleinen Platzes, zu dem ein paar krumme Stufen hinabführten. Dahinter fiel das Ufer zum Fluss hinunter, der seinen Modergeruch schwer über das enge Geviert legte. Ich trat auf den Platz hinaus. Die Fassade der Kirche war klein und schmucklos: brauner, im schwindenden Licht indigofarbener Stein mit einer tief in die Wand eingelassenen Tür. Zu ihrer Linken zäunte ein Eisengitter etwas wie einen Garten ein; oder wie einen winzigen Friedhof. Ich spähte über das Eisengitter hinweg. Es war tatsächlich ein Friedhof. Ich entzifferte die Inschrift auf der nächstliegenden in der Seitenwand
Weitere Kostenlose Bücher