Duell der Leidenschaft
Opfer.
Mit einer Hand fuhr er sich über Gesicht und Hinterkopf, während das Wort in seinem Kopf nachhallte.
Was sie nun brauchte, war ihre Tante und die Achtbarkeit, für die diese Lady sorgen konnte. Nach so langer Zeit allein mit ihm musste sie nicht nach Hause eskortiert wer-den. Dort wartete nur ihr Ruin auf sie. Sie würde aus der Gesellschaft ausgestoßen werden oder einen Mann heiraten müssen, den sie verabscheute - nämlich ihn. Ihr Vater würde völlig zu Recht darauf bestehen.
Es musste einen Weg geben, um die Dinge für sie wieder zu richten. Und seine Aufgabe war es, diesen Weg zu finden.
Momentan war er erschöpfter, als er gedacht hatte, und nach der Geräuschkulisse zu urteilen, die vom Innenhof zu ihm drang, würde es noch eine Weile dauern, bis das Abendessen fertig war. Er legte das Handtuch weg, das er um die Hüften gewickelt hatte, schob das Moskitonetz zur Seite und begab sich zu Sonia ins Bett. Er drehte sich zu ihr um, streckte einen Arm über ihrem Kopf aus, der auf einem Kissen ruhte, und lag schließlich so, dass er sie fast umgab, ohne sie jedoch zu berühren. Lange Zeit sah er ihr einfach nur beim Atmen zu, während er den Duft nach Seife und wohlriechender Weiblichkeit einatmete, bis er schließlich einschlief.
Das Abendessen war für Kerr eine Tortur, wie er sie in seinem Leben noch nicht mitgemacht hatte. So war der dunkle Anzug an den Schultern so knapp, dass er nicht tief durchzuatmen wagte, da er fürchtete, die Nähte könnten aufplatzen. Die Hose lag so eng an, dass er eine Schürze brauchte, um über seine Erregung hinwegzutäuschen. Seine Handgelenke ragten weit aus den Manschetten heraus, und er hatte längst alle Hoffnung aufgegeben, die zum Anzug gehörende Weste zuknöpfen zu können. Also trug er sie offen, was aber noch harmlos war im Vergleich zu seinem Schuhwerk. Das Einzige, was ihm passte, waren einfache Sandalen, wie sie das Dienstpersonal trug. Alles in allem gab er keine beeindruckende Figur ab.
Sonia dagegen war die Eleganz in Person. Sie trug ein Seidenkleid in Meeresblau, das lavendelfarben abgesetzt war, dazu hatte sie ein schwarzes Schleiertuch auf ihr streng frisiertes Haar gelegt. Nach Kerrs Meinung hätte das Ensemble an ihrer Gastgeberin niemals so gut ausgesehen wie an Sonia.
Dona Francesca dagegen war in so schweren Brokat gekleidet, dass man meinen konnte, ihr Kleid müsse von allein stehen können. Kerr behielt allerdings für sich, dass sie in diesem Erscheinungsbild bei einem Staatsbankett in Europa besser aufgehoben gewesen wäre als bei einem Abendessen mitten in der mexikanischen Wildnis. Genauso verkniff er sich jeden Kommentar dazu, dass die Lady in Gegenwart ihres Besuchs einen Stumpen rauchte. Er kannte Frauen aus den Bergen, die manchmal rauchten oder schnupften, doch die waren alle älter und scherten sich längst nicht mehr darum, was andere über sie dachten.
Kerr saß rechts von Dona Francesca, während Sonia einen Platz weiter unten am Tisch zugewiesen bekommen hatte. Dort war sie zwischen dem Priester Father Tomas, der unweigerlich hatte auftauchen müssen, und einem Mann und dessen Frau eingezwängt, die ihnen als Dona Francescas Sohn und Schwiegertochter vorgestellt worden waren. Der Sohn saß aufrecht und war adrett gekleidet, und er trug einen Schnurrbart, während seine Frau dünn und von fahler Hautfarbe war. Keiner der beiden schien davon begeistert zu sein, Gäste zu unterhalten.
Mit am Tisch saß ein älterer Gentleman mit gelblichem Gesicht und einer anhaltend verdrießlichen Miene, der sich als der Vater der Schwiegertochter entpuppte. Neben ihm fand sich eine untersetzte und unentwegt plappernde Frau mit verschlagenem Blick, die wie eine arme Cousine wirkte, der man in typisch mexikanischer Weise ein Dach über dem Kopf gewährte.
Auch drei Kinder saßen mit am Tisch, die vom Alter her Hie Nachkommen des Sohnes hätten sein müssen, die aber offenbar Dona Francescas Kinder aus einer Ehe waren, die sie kurz nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes — dem
Vater ihres Sohnes Javier - eingegangen war. Ihr erster Mann starb nur wenige Wochen nach der Hochzeit, und inzwischen war sie abermals verwitwet gewesen und hatte ein viertes, vielleicht sogar ein fünftes Mal geheiratet, Wie es aussah, hatte die Lady kein Glück bei der Auswahl ihrer Ehemänner gehabt. Oder es war durchaus Glück, wenn es einen Zusammenhang zur Größe ihres Anwesens gab.
Ob das alles stimmte, stand auf einem anderen Blatt. Zumindest hatte er
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