Duell der Leidenschaft
schuldig. Wohin sie ging und was sie tat, ging ihn nichts an. Ihr Vater mochte ihr Wohl in die Hände dieses Mannes gelegt haben, doch sie selbst hatte seine Vormundschaft nicht akzeptiert.
Aber auch wenn der Verstand ihr das sagte, hatte eine nervöse Spannung sie erfasst, und ein heftiges Unbehagen regte sich in ihrer Brust, als stünde sie am Rand einer Klippe. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sich je so verwirrt gefühlt zu haben.
Der Ball an diesem Abend unterschied sich auf den ersten Blick in nichts von anderen derartigen Veranstaltungen. Auf dem Podest spielte ein Streichquartett, Rosenduft erfüllte die Luft, die Gentlemen trugen dunkle Abendanzüge, die Ladys bildeten ein pastellfarbenes Kaleidoskop aus Seidenkleidern. Dutzende solcher Bälle hatte es während der sich nun dem Ende zu neigenden sais on des visites gegeben, einige davon in diesem, andere in den Ballsälen anderer Hotels hier im Vieux Carre ebenso wie im amerikanischen Viertel, für das sich allmählich der Name Garden District durchsetzte.
Eine Gruppe Gentlemen gab jeder einen gewissen Betrag, um den Ballsaal zu mieten, ließ ihn schmücken, sorgte für Erfrischungen und stellte Dienstpersonal ein, das sich um das Aufkommen an Kutschen ebenso kümmerte wie um das Wohl und die Sicherheit der Gäste. Diese Gäste wählten die einladenden Gentlemen nach ihrem Ermessen aus, wobei die nächsten Angehörigen auf der Liste zuoberst standen, gefolgt von Freunden und deren Ladys und schließlich von weiteren Bekannten. Eine solche Einladung wurde nur selten ausgeschlagen, weil ganz New Orleans geradezu verrückt nach Tanzen war, vor allem nach Walzern, von denen Woche für Woche neue Variationen aus den Ballsälen von Paris und Wien gespielt wurden.
Für gewöhnlich begegnete man auf jedem Ball den gleichen Leuten, da jeder die creme de la creme einlud. Doch als sich Sonia nun umschaute, musste sie feststellen, dass ihr kaum ein Gesicht vertraut war. Es war auffallend, aber wohl auch nachvollziehbar. Mardi Gras und Fastenzeit waren bereits vorüber, und die Palmenwedel, die vom Priester zu Ostern gesegnet und sorgfältig hinter Spiegel und Bilderrahmen gesteckt worden waren, sammelten sich längst auf dem Fußboden. Jetzt, da die Tage wieder wärmer wurden, waren einige Fälle von Fieber gemeldet worden. Viele Leute hatten ihre Sachen gepackt, um auf ihre Plantagen auf dem Land zurückzukehren oder um auf Reisen zu gehen und Kurorte wie Saratoga und White Sulphur Springs oder ferne Ziele wie Paris, Rom oder Wiesbaden zu erleben. Sogar ihr Vater plante eine Geschäftsreise nach Memphis.
Niemand trat vor, um Sonia und ihre Tante zu begrüßen, nicht eine Bekannte war in der Menge auszumachen. Die meisten Gäste um sie herum bewegten sich für gewöhnlich am äußersten Rand der besseren Gesellschaft. Sie erkannte eine geschiedene Frau wieder, die nur selten in ein Haus eingeladen wurde, das etwas auf sich hielt. Dort war ein Plantagenbesitzer, der wegen seiner Vorliebe für purpurrote Seidenhemden und gut aussehende Jungs viele Jahre im Exil in Havanna verbracht hatte. Und da drüben stand eine ältere Witwe, der man nachsagte, sie habe ihren zweiten Ehemann schockierend kurz nach der Eheschließung bereits zu Grabe getragen. Anwesend war auch der berühmte Fechtmeister und Duellist Pepe Llulla, gefällig und todbringend, sowie sein italienisches Pendant Gilbert Rosiere. Wo immer diese beiden auftauchten, teilte sich vor ihnen wie durch ein Wunder die Menschenmenge, um eine breite Gasse zu bilden, und sobald sie hindurch waren, schlossen sich die Reihen wieder.
Eben erst hatte es Sonia zu dämmern begonnen, in welcher Situation sie sich hier befanden, da tauchten Monsieur Wallace und sein Freund mit der kupferfarbenen Haut am Eingang zum Ballsaal auf. Sie zeigten ihre Einladungen vor, dann nahm man ihnen Hut und Stockdegen ab und ließ sie eintreten, als würden sie hierher gehören.
»Tante Lily«, setzte Sonia an. »Ich glaube ...«
»Ich weiß, chere, keiner von den Kreisen, in denen wir üblicherweise verkehren. Aufregend, nicht wahr?« In den Augen ihrer Tante sah sie ein freudiges Funkeln, während sie ihren Fächer aus schwarzer Spitze lässig hin und her bewegte.
»Papa wird außer sich sein.«
»Aber warum sollte er? Dein Beschützer ist ebenfalls anwesend. Wenn dein Papa einen solchen Mann engagiert, damit er dich zu deiner Hochzeit begleitet, dann kann er wohl kaum etwas dagegen einwenden, dass du einen Abend in seiner
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