Duell der Leidenschaft
der Tanzkarte, die man ihr beim Hereinkommen überreicht hatte. Doch nachdem sie notiert waren, wurde Sonia wählerischer. Eine solche Karte zu füllen erforderte große Sorgfalt. Zwar sollte eine Lady darauf Lücken vermeiden, dennoch konnte es sein, dass sie den einen oder anderen Tanz frei halten wollte für den Fall, dass ein besonders angenehmer Gentleman erst mit Verspätung an sie herantrat.
Ein paar Mal betrat Wallace auch die Tanzfläche, was ihr nicht entging, wobei er jedes Mal mit der Ehefrau des einen oder anderen Freundes den Walzer tanzte. Er war nicht so tollpatschig, wie sie angenommen hatte. Vielmehr schien es ihm sogar Spaß zu machen, vor allem wenn er seine Partnerin drehen und ihre Röcke wirbeln lassen konnte. Dabei sorgte seine körperliche Kraft dafür, dass sie nicht den Halt verlieren konnten. Insgeheim wünschte sich Sonia, er würde auch sie um einen Tanz bitten, aber natürlich nur, weil es ihr eine Freude gewesen wäre, ihm einen Korb zu geben.
Bei ihrem zweiten Tanz mit Hippolyte — einem Sports-mann, bekannten Possenreißer und Bonvivant, der nur wenige Fingerbreit größer war als sie und bereits die rundlichen Konturen ihres geschätzten Vaters annahm — bemerkte sie, wie sich ein Gentleman Monsieur Wallace näherte. Sie hätte davon keine Notiz genommen, jedoch war der vor Charme sprühende, ältliche Lebemann mit den spärlichen Locken nur Augenblicke zuvor mit ihrer Tante in ein Gespräch vertieft gewesen. Nun schien es so, als habe Tante Lily den Gentleman auf eine Mission geschickt. Der deutete auf den Alkoven, in dem die Lady sich aufhielt, deren Miene einen bittenden Ausdruck angenommen hatte.
Der Fluch, den Sonia murmelte, war so heftig, dass ihr Tanzpartner ein Stückchen zurückwich und sie ansah. »Ich bitte tausendmal um Verzeihung, wenn ich Ihnen auf die Zehen getreten sein sollte.«
»Nein, nein, es ist ... ich wollte sagen, ich sah nur etwas sehr Überraschendes.«
»Nun, dann bin ich erleichtert. Ich weiß, ich kann ein rechter Tollpatsch sein, aber üblicherweise merke ich es, wenn ich einer Lady auf die Füße trete.« Er drehte sich so, dass er ihrer Blickrichtung folgen konnte, und sah den Fechtmeister neben dem Überbringer der Nachricht auf Tante Lily zugehen. »Sacre! Ihre Tante kokettiert mit Wallace. Weiß sie, wer er ist? «
»Da können Sie sich sicher sein. Zumindest dem Ruf nach weiß sie es.«
»Ihrer Tante gefällt es, neue Leute kennenzulernen«, meinte er höflich.
Das stimmte, vor allem wenn es sich dabei um Männer handelte. »Und es gefällt ihr auch, meinem Vater auf der Nase herumzutanzen.«
»Sie ist die Schwester Ihrer Mutter, richtig?«
»Sie sagen es.« Sonias Lächeln hatte einen ironischen Hauch.
Eine Zeit lang hatte sie geglaubt, ihr Vater und Tante
Lily könnten heiraten. So etwas war keineswegs ungewöhnlich, wenn die Schwester einer verstorbenen Ehefrau in den Haushalt kam, um sich der Kinder anzunehmen, die ohne Mutter waren. Damit wurde man nicht nur den Konventionen gerecht, wonach es nicht gern gesehen wurde, wenn eine ungebundene Frau im gleichen Haus lebte wie der Witwer. Man nahm auch an, dass sie für ihre Schutzbefohlenen eine natürliche Zuneigung empfinden würde. Dazu war es jedoch nicht gekommen. Tante Lily hielt ihren Schwager distanziert und reserviert, was nichts anderes heißen sollte, als dass er sich nicht zu ihr hingezogen fühlte. Ihr Vater wiederum sah in Sonias Tante eine Frau, deren Ansichten über die Kindererziehung und über den Platz der Frau in der Gesellschaft beklagenswert überspannt waren. Allein wegen Sonia war er bereit, ihre Art zu tolerieren. Bemerkenswert war jedoch, dass beide gleichermaßen die Unschicklichkeit der bestehenden Situation ignorierten, da sie sich beharrlich weigerten, einem solchen Unsinn bindende Bedeutung beizumessen.
Hippolyte schaute abermals zum Alkoven. »Wenn sie sich vorgenommen hat, Ihren Herrn Papa zu verärgern, wird es genügen, Wallace in seinem Stadthaus ein und aus gehen zu lassen.«
»Ich bezweifele, dass sie so weit gehen wird«, antwortete Sonia. »Wahrscheinlich ist sie nur neugierig. Aber kennen Sie den Gentleman?« Ihr erschien es nicht notwendig, ihn sofort wissen zu lassen, dass sie mit Monsieur Wallace bereits Bekanntschaft gemacht hatte.
»Ich bin mit ihm in der Louisiana Legion marschiert, und ein- oder zweimal stand ich ihm schon auf der Fechtbahn in seinem Salon gegenüber.«
Letzteres sagte einiges über ihren Tanzpartner aus, denn nur
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