Duell der Leidenschaft
zukünftiger Ehemann würde ihr diese Unschuld nehmen, ein Gentleman, den sie kaum kannte. Was für eine Schande, und was für eine Vergeudung. Aber wenn es nach Kerr gehen sollte, dann würde dieser Mann nicht Rouillard sein, so viel stand fest.
Bislang war er in seinen Grübeleien nie zu einer solchen Entschlossenheit gelangt. Warum es ihm mit einem Mal so wichtig war, die Hochzeitsnacht zu verhindern — das war eine Frage, der er sich lieber nicht zu eindringlich widmen wollte.
Er hatte sich in der Lady getäuscht, denn offenbar verschwendete sie gar keinen Gedanken daran, sich gegen ihr Schicksal zur Wehr zu setzen. Warum er so sicher war, dass sie etwas im Schilde führte, konnte er sich nicht recht erklären. Es handelte sich wohl um eine Mutmaßung, einen Instinkt. Und vielleicht war auch Angst im Spiel gewesen. Er war so weit gekommen, da konnte er es sich nicht leisten, dass sie ihm entwischte. Eigentlich hätte er sich bei ihr entschuldigen müssen, weil er ihr so misstraut hatte, aber dafür wäre es erforderlich gewesen, ihr seinen Argwohn zu gestehen. Das war natürlich völlig undenkbar, also würde er es auf eine wortlose Weise erledigen. Mehr konnte er sich selbst nicht zugestehen, denn nur deswegen war er auch engagiert worden.
Plötzlich bemerkte er eine Bewegung an der Doppeltür, die er die ganze Zeit über so unverdrossen beobachtet hatte. Die Tür ging auf, eine schlanke Gestalt trat nach draußen auf den Balkon. Sie trug einen dunklen Mantel und eine Hose, in einer Hand hielt sie einen Zylinder.
Die Lady hatte also mitternächtlichen Besuch empfangen.
Dann war sie also gar nicht so unschuldig, wie er angenommen hatte.
Kerrs Mundwinkel verhärteten sich. Er hätte es wissen sollen. Das erklärte Mademoiselle Bonnevals hartnäckigen
Widerspruch gegen ihre arrangierte Heirat ebenso wie die Suche ihres Vaters nach einem Bewacher, der sicherstellen sollte, dass sie auch bei ihrem Bräutigam ankam. Ihr Liebhaber musste schon etwas Skandalöses auf dem Kerbholz haben und für sie gänzlich ungeeignet sein, dass solche Maßnahmen erforderlich wurden, die Tochter zu verheiraten.
Kerr hatte fast schon Mitleid mit dem armen Teufel, der gezwungen war, sich mit einem letzten heimlichen Besuch von ihr zu verabschieden. Seine Geliebte würde am Nachmittag an Bord der Lime Rock gehen, und damit war das Ende dieser Affäre gekommen.
Es konnte nicht schaden, dem Gentleman diese Tatsache vor Augen zu halten, überlegte Kerr. Es durfte kein hysterisches Lebewohl geben, auch keine Rettungsversuche in letzter Minute oder andere zum Scheitern verurteilte Heldentaten.
Kerr stieß sich von der Hauswand ab und überquerte lautlos die Straße. Als er das Stadthaus erreichte, hörte er auf dem Balkon über sich leise Schritte. Den Mann konnte er nicht länger sehen, da der genauso wie er selbst von dem Balkon verdeckt wurde. Vermutlich bewegte er sich zu dem geriffelten Metallpfeiler gleich neben Kerr. Der ging genau dort in Position und wartete ab.
Das Balkongeländer knarrte, als der Unbekannte darüberkletterte, dann konnte Kerr die Stiefel des Gentlemans sehen, der langsam an dem metallenen Pfeiler nach unten glitt. Etwas an der schlanken Statur des Mannes irritierte Kerr für einen winzigen Augenblick, doch es blieb keine Zeit, sich damit zu befassen, da er bereits zum Angriff überging. Er bekam den Schurken zu fassen, umklammerte ihn mit den Armen und wollte ihn mit sich zu Boden ziehen.
Seine Hände ertasteten sanfte, rundliche Formen, ein Duft nach Seife und Veilchen hüllte ihn ein. Im gleichen Moment stieß sein Opfer einen gellenden Schrei aus, der ihn so erschreckte, dass er seinen Griff ein wenig lockerte und zurückwich, stolperte und zu Boden fiel, den mysteriösen Gentleman aber mit sich riss. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, als Mademoiselle Bonneval auf ihm landete und er zusätzlich den Druck ihrer Hüften auf seinen Lenden spürte.
Fünftes Kapitel
Ein paar Sekunden lang lag Sonia wie benommen da, dann gewannen Wut und Entsetzen die Oberhand. Sie fuchtelte mit den Armen und trat nach ihm, wobei sie wieder und wieder versuchte, sich aus der unerbittlichen Umklammerung ihres Gegenübers zu befreien. Ihr Atem ging keuchend, und der Rand ihres Gesichtsfeldes wurde langsam schwarz.
Es war einfach nicht gerecht, dass sie unbemerkt das Haus verlassen hatte, um einem betrunkenen Seemann oder Gewohnheitssäufer in die Hände zu fallen, der heimwärts taumelte. Das war nicht gerecht
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