Duell der Leidenschaft
Sonias Geburt verlor sie durch eine weitere Fehlgeburt des sechsten Sohns auch ihren Lebenswillen.
Sonia, die in den letzten Jahren den Platz ihrer Mutter als Haushälterin eingenommen hatte, mochten die Dinge, die sie von ihrer Großmutter hörte, durchaus der Wahrheit entsprechen. In der ganzen Zeit hatte sie selbst ihn ebenfalls kaum einmal mit ihrer Arbeit zufriedenstellen können.
»Monsieur Wallace, ich flehe Sie an«, flüsterte sie mit heiserer Stimme.
Für den Bruchteil einer Sekunde geriet der Mann ins Stocken, dessen war sie sich sicher. Doch er blieb nicht stehen und ließ auch durch keine andere Reaktion erkennen, dass er sie gehört hatte.
Ihre Wut von vor wenigen Minuten war nichts im Vergleich zu dem Zorn, von dem sie nun verzehrt wurde. Dieser Kaintuck war ein Ungeheuer, ein herzloser, ignoranter Barbar, und es war einfach nur dumm von ihr gewesen, etwas anderes für möglich zu halten. Für das, was er ihr antat, würde sie ihn hundertfach bezahlen lassen, das schwor sie beim Grab ihrer Mutter.
Sie erreichten das weitläufige Gelände des Place d’Armes vor der Kirche und dem Cabildo, dem Regierungsgebäude. Dort angekommen, bog Kerr Wallace ab und ging in Rich-tung Anlegeplatz weiter. In diesem Moment wusste sie, wohin er sie brachte.
Minuten später hatten sie das Dock erreicht, an dem die Lime Rock ruhig und friedlich vertäut lag. Wallace blieb stehen und beugte sich vor, damit ihre Füße zurück auf den Boden kamen, dann hielt er kurz ihre Unterarme fest, bis sie das Gleichgewicht zurückerlangt hatte. Schwindel befiel sie, als das in ihrem Kopf gestaute Blut zurückströmte, doch sie ließ sich davon nichts anmerken, sondern warf ihm einen trotzigen Blick zu, obwohl sie ihn noch gar nicht richtig wahrnehmen konnte.
Der Anlegeplatz erwachte kurz vor Tagesanbruch erst allmählich zum Leben. Flussabwärts und flussaufwärts wurde das lange, gewundene Ufer von Dampfbooten und Segelschilfen gesäumt, so weit das Auge reichte. Die Signalleuchten strahlten wie eine irdische Ausgabe der Milchstraße und bewegten sich leicht im Auf und Ab des Flusses, auf dessen Oberfläche ihr Schein reflektiert wurde. Güter in Kisten und Fässern sowie Berge von Baumwollballen lagen bereit, um im Licht des neuen Tages verladen zu werden.
Hinter ihnen lag die Stadt, deren präzise angelegtes Straßennetz von Lampen an jeder Kreuzung und Ecke gekennzeichnet wurde. Katzen und Hunde streunten umher, Schweine schnüffelten hier und da, und Männer patrouillierten durch die Stadt, um auf diejenigen ein Auge zu haben, die den Unachtsamen aufzulauern versuchten. Aus dieser Richtung wurden mit der morgendlichen Brise die blechernen, melancholischen Klänge einer Drehorgel herübergetragen.
Sie beide — Sonia und der Mann aus Kentucky — standen ganz allein hier im Halbdunkel. Diese Tatsache löste bei ihr ein sonderbares Kribbeln im Bauch aus. Sein Griff um ihre Handgelenke war nicht schmerzhaft, aber der ausgeübte Druck verriet ihr, dass sie besser nicht versuchen sollte, sich zu wehren. Die Macht seines Griffs wirkte auf sie wie eine Droge, sodass sie leicht schwankte.
Dieses fiebrige Bewusstsein machte sie wahnsinnig, wo sie doch eigentlich nichts anderes wollte, als vor ihm wegzulaufen ... weit, weit wegzulaufen.
»Wir beide begeben uns jetzt auf das Dampfschiff«, erklärte er mit einer Stimme, die so rau klang, als würde man einen Schlitten über einen Kiesweg ziehen. »Wir können das nett und freundlich erledigen, wir können es auch zum Problem werden lassen. Sie können selbst über die Laufplanke an Bord gehen, oder ich trage Sie. Die Wahl liegt bei Ihnen, Mademoiselle Bonneval.«
Sie wollte sich weigern, seine Anweisung zu befolgen. Sie wollte ihm diese Weigerung ins Gesicht schleudern, sich aus seinem Griff losreißen und wie der Wind davoneilen.
Das Problem war nur, er hätte sie sehr wahrscheinlich viel zu schnell eingeholt. Und dann würde er seine Drohung wahr machen, sie über die Schulter legen und wie einen Sack Mehl an Bord tragen, mit ihrem Hinterteil nach oben, sodass jeder es sehen konnte. Der Gedanke war schlicht unerträglich.
Ihr Stolz verlangte von ihr, einen Kompromiss zu schließen, ganz gleich wie schmerzhaft der auch für sie war. Außerdem konnte er nicht die ganze Zeit bei ihr bleiben, bis das Schiff ablegte. Damit blieben ihr noch ein paar Stunden, ehe sie sich der Verzweiflung hingeben musste.
»Vielleicht lässt uns der Captain ja gar nicht an Bord«, warf sie ein. Im
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