Duell der Leidenschaft
aber das war ein Irrtum gewesen.
Unerwartet bückte er sich, als verfolge er irgendeine perverse Absicht, griff nach ihrem Handgelenk und zog sie an sich. Ihr Atem wurde ihr mit einem gar nicht damenhaften Grunzlaut aus den Lungen gedrückt, da sie mit dem Solarplexus gegen seine harte Schulter traf. Als er sich dann wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete, lag sie auf einmal über seiner Schulter. Sie spürte, wie er seinen Arm um ihre Kniekehlen legte, sich mit ihr umdrehte und dann in Richtung Fluss die Straße entlangging.
Ein erstickter Schrei kam ihr über die Lippen, als eine nie zuvor gekannte Wut sie überwältigte. Sie schaukelte bei jedem seiner ausholenden Schritte hin und her, doch sein Arm war wie eine stählerne Klammer, und seine langen Finger bohrten sich in ihren Oberschenkel. Das Blut stieg ihr in den Kopf, ihre Schläfen begannen zu pochen, und sie musste schlucken, damit ihr der Mageninhalt nicht nach oben kam. Der Hut war ihr beim Sturz aufs Pflaster vom Kopf gerutscht, und nun lösten sich auch noch ihre Haarnadeln und fielen mit leisem Klimpern auf den Fußweg. Damit geriet die Fülle ihrer Haarpracht außer Kontrolle. Außer sich trommelte sie mit den Fäusten auf seinen Rücken, aber er schien davon nichts zu bemerken. Stattdessen brachte sie sich durch ihre heftigen Bewegungen aus dem Gleichgewicht und musste sich an seiner Jacke festklammern, wenn sie nicht kopfüber auf die Straße stürzen wollte.
»Was ... tun Sie ... da?«, brachte sie mühsam heraus. »Lassen Sie ... mich runter. Mein Vater wird ...«
»Was wird er? Mir einen Orden verleihen?« Er zog sie ein Stück weit nach vorn, sodass ihre Pobacke gegen seinen kantigen Kiefer drückte. »Rufen Sie ruhig nach Ihrem Papa, nur zu. Es sei denn, Sie wollen ihm jetzt lieber nicht gegenübertreten.«
Er hatte natürlich recht. Das Letzte, was sie wollte, war, von ihrem Vater so gesehen zu werden und ihm ihr Vorhaben gestehen zu müssen, wäre ihre Flucht nicht vereitelt worden. Dieser Gedanke war so unerträglich, dass er ihr die Kehle zuschnürte und sie keinen Ton herausbekam.
Seine Art, einfach wie eine unaufhaltsame Naturgewalt weiterzugehen, während er sie über die Schulter trug, ließ sie vor Wut kochen, aber zugleich machte es ihr auch Angst. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, der ein Zittern am ganzen Leib auslöste. »Sie ... Sie müssen mich anhören, Monsieur. Ich kann Sie ... ich kann Sie bezahlen. Meine Großmutter ...«
»Dorthin wollten Sie? Zu Ihrer Großmutter?«
»Sie ... sie nimmt mich bei sich auf, wenn ich ... wenn ich es bis zu ihr schaffe. Sie lebt in ...» Mitten im Satz brach sie ab, da sie fürchtete, zu viel zu verraten.
»Nicht in New Orleans, möchte ich wetten, sonst hätten Sie längst bei ihr Zuflucht gesucht. Außerdem bräuchten Sie dann keine Tarnung, um zu ihr zu kommen, nicht wahr? Wo wohnt sie dann? Flussaufwärts? In Natchez? St. Francisville? Oder vielleicht flussabwärts Richtung Mobile?«
Gegen ihren Willen versteifte sie sich, als er Mobile erwähnte. Zwar hoffte sie noch, dass es ihm nicht auffiel, doch schon mit dem nächsten Satz machte er diese Hoffnung zunichte.
»Also in Mobile. Der Dampfer nach Mobile traf am Dock ein, kurz bevor die Linie Rock anlegte, und wird am Nachmittag losfahren, wie mir soeben einfällt. Ich vermute, darauf haben Sie gezählt. Zu schade.«
Niedergeschlagenheit erfasste Sonia. Ihre Großmutter mütterlicherseits war ihre ganze Hoffnung gewesen, ihre einzige Chance für eine Zuflucht. Ihr Brief, der mit dem Dampfboot eingetroffen war, enthielt das Angebot, ihr dort Unterschlupf zu gewähren.
Ma ’mere war nie gut auf den Mann zu sprechen gewesen, der ihre Tochter — Sonias Mutter — geheiratet hatte, und sie hatte sich auch gegen die Heirat ausgesprochen, war aber an Sonias Großvater gescheitert, der nichts dagegen einzu-wenden hatte. Sie gab Simon Bonneval auch die Schuld am Tod ihrer Tochter, weil er sich nie richtig um sie kümmerte, weil er von ihr erwartet hatte, sich binnen weniger Tage von jeder ihrer Fehlgeburten zu erholen, damit er mit ihr wieder ein Kind zeugen konnte. Aus seiner Enttäuschung darüber, dass sie ihm eine Tochter anstelle des begehrten Sohns schenkte, machte er auch keinen Hehl. Er war ein Ehemann gewesen, der an allem etwas auszusetzen hatte und der nie ihre Leistungen zu würdigen wusste. Er war derjenige, der ihrer Mutter die Lebensfreude nahm, so hatte Ma’mere es Sonia erzählt, und im zwölften Jahr nach
Weitere Kostenlose Bücher