Duell der Leidenschaft
die ihr Korsett im Kleiderschrank wegschließen konnte, wie man so sagte. Sie hatte so viele Heiratsanträge abgelehnt, dass ihrem Vater schließlich der Geduldsfaden gerissen war. Diese Vermählung war zumindest aus seiner Sicht die letzte Chance, sie aus dem Haus zu bekommen. Das alles dem Mann neben ihr zu erklären, wäre einer Demütigung gleichgekommen, die sie sich lieber ersparen wollte.
»Ich ... ich war nicht bereit, einen Ersatz für Bernard zu akzeptieren«, erklärte sie schließlich.
»Es muss schlimm für Sie gewesen sein, nicht zu wissen, wie es ihm dort drüben in Mexiko erging, und erst viel später von seinem Tod zu erfahren.«
»Für Sie und Ihre Familie muss das auch schwer gewesen sein.«
Er nickte bestätigend und sah mit starrer Miene auf das gelblich braune Wasser, das jenseits der Reling vorbeiströmte und nach Schlamm und verrottender Vegetation roch.
Einem Impuls folgend redete sie weiter. »Die Verlobung zwischen Bernard und mir war nur zwischen unseren Familien verabredet. Es hatte nie eine offizielle Verlobung gegeben, keine Feier mit Geschenken und allem, was dazugehört. Daher konnte ich auch nicht Schwarz für ihn tragen, weil mein Vater mir nicht die zwei Jahre Zurückgezogenheit erlauben wollte, die damit verbunden sind.«
»Zwei Jahre, die Sie nicht auf dem Heiratsmarkt zur Verfügung gestanden hätten, nicht wahr?«
Sie konnte nur nicken, da sie fürchtete, ihre Stimme könnte versagen. Diesen Aspekt ihrer Trauer hatte sie nie zuvor irgendjemandem gegenüber angesprochen. Wie sonderbar, dass sie sich ausgerechnet diesem Mann anvertraute. Aber vielleicht auch gar nicht so sonderbar, denn er bedeutete ihr nichts. Nach dem heutigen Tag würden sie sich vielleicht nie Wiedersehen.
Vor ihnen blieben Monsieur Tremont und ihre Tante stehen, um sich zu ihnen umzudrehen. »Wie ich hörte, hat der Captain einen Seemann auf sein Schiff geholt, der die Violine spielt«, rief Tremont ihnen zu. »Der zum Essen und Tanzen spielen kann, wenn wir auf See sind. Ihre Tante hat sich einverstanden erklärt, mir die Ehre eines Tanzes zu gewähren. Möchten Sie vielleicht dem Beispiel Ihrer Tante folgen, Mademoiselle Bonneval?«
»Sie müssen wissen, Monsieur, ich bin verlobt«, entgegnete sie.
»Aber Ihr Verlobter ist nicht hier.« Seine Augen funkelten vor Kühnheit, und er hob fragend eine Augenbraue.
»Wir werden sehen.«
Kerr Wallace bedachte den Mann mit einem durchdringenden Blick. Es musste an dem sonderbaren Verhältnis zwischen ihnen liegen, dass Sonia viel verärgerter darauf reagierte, als es bis vor wenigen Minuten noch der Fall gewesen wäre. Es gehörte schließlich nicht zu seinen Aufgaben, darüber zu entscheiden, welcher Tanzpartner für sie geeignet war und welcher nicht.
Zugleich erfüllte es sie mit einer gewissen Zufriedenheit, dass der Mann aus Kentucky über die Anwesenheit von Monsieur Tremont gar nicht glücklich war. Sie sah keinen Grund, warum er glauben sollte, alles müsse nach seinen Vorstellungen ablaufen. Und wenn Kerr Wallace damit beschäftigt war, sie auf Abstand zu dieser, seiner Meinung nach unpassenden Gesellschaft zu halten, dann blieb ihm weniger Zeit, sich Gedanken zu machen, was Sonia womöglich plante. Und wenn er schon zu glauben begann, sie könne sich von Monsieur Tremonts Worten fesseln lassen, dann würde er doch vielleicht auch annehmen, sie habe sich in ihr Schicksal gefügt.
Sonia ging schneller, um die Lücke zu schließen, die zwischen ihnen und ihrer Tante und ihrem Begleiter entstanden war. Sie hörte auf zu grübeln und gab sich stattdessen alle Mühe, den Eindruck zu erwecken, als sei sie von Monsieur Tremont völlig begeistert.
Siebtes Kapitel
Tante Lily behauptete stets, dass sie nachts nur selten ein Auge zutat, da sie unter Schlaflosigkeit litt. Sonia hätte ihr um nichts in der Welt widersprechen wollen, doch sie wusste, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Das galt auch für diese letzte Nacht an Bord des Schiffs, bevor das in den frühen Morgenstunden ablegen würde. Nur wenige Minuten nachdem sie die Lampe ausgeblasen hatte, hörte Sonia aus der unteren Koje bereits ihre Tante leise schnarchen.
Auf diesen sofort eintretenden, festen Schlaf hatte sie auch gehofft, da es ihre wohl letzte Gelegenheit sein würde, an Land zu gehen und zu entkommen. Kerr Wallace war den ganzen Tag über viel zu wachsam gewesen, und sobald sie sich auch nur in die Nähe der Laufplanke begab, war er bereits bei ihr. Gleiches geschah, wenn sie
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