Duell der Leidenschaft
ihrem Kopf zu vertreiben. Wie unglaublich provozierend.
Natürlich war es genau das, was er beabsichtigte. Sie hatte es im unergründlichen Grau seiner Augen gesehen. Und das, wo sie hätte schwören können, dass Scharfsinnigkeit nicht seine Stärke war. Gewalt, Tatkraft, Befehlsgewalt — so etwas hätte sie von ihm erwartet, nicht aber eine versteckte Herausforderung.
Wie bewusst sie doch wahrnahm, dass er sich hinter ihr aufhielt. Sein riesiger Schatten, der ihm vorauseilte, fiel auf sie und ließ es aussehen, als befände sie sich in einer grauen, sich bewegenden Lache. Allein dieser Größenunterschied wäre einschüchternd gewesen, wenn sie es zugelassen hätte. Sie war keine große Frau, aber auch nicht auffallend zierlich, und doch verschluckte der Schatten sie fast vollständig.
Mit normalem Tempo weiterzugehen erwies sich als schwierig, solange er sich so dicht hinter ihr aufhielt. Warum das so war, stellte sie vor ein Rätsel. Schließlich war es doch nicht so, als kümmere sie, was er dachte.
Vielleicht lag das Problem aber auch darin, dass er immer in ihrer unmittelbaren Nähe blieb und stets mitbekam, wo sie war und was sie tat. Er erledigte seinen Auftrag sehr gewissenhaft, das musste sie ihm lassen. Das Geld ihres Vaters war nicht rausgeworfen, zu schade nur, dass er nicht auch hier war, um es selbst zu erleben.
Vielleicht war das aber auch gut so. Einer der wenigen Vorteile ihrer augenblicklichen Situation war der, dass er sie nicht länger unter der Fuchtel hatte. Kerr Wallace handelte jetzt als sein Stellvertreter, das war nicht zu übersehen, doch auch das würde ein Ende haben, und dann ...
Ja, was dann?
Sie wusste die Antwort darauf nicht. Alles würde davon abhängen, was sie bei ihrer Ankunft in Vera Cruz vorfinden würde. Klar war ihr nur, dass eine Heirat dabei keine Rolle spielen würde, ganz gleich was Kerr Wallace auch dachte.
Sonia ging zum Bug des Schiffs und blieb stehen, um einen Blick auf den gewundenen Flusslaufzu werfen. Sie hatten die besiedelten Gebiete hinter sich gelassen, wenn man von der gelegentlichen, abgeschieden liegenden Hütte eines Trappers absah, vor der ein Plankenboot auf dem Wasser trieb.
Dichter Baumbestand säumte das Ufer zu beiden Seiten, wurde aber hier und da durch kleine Inseln unterbrochen, auf denen Eichen wuchsen, die in ihre Trauerkleidung aus grauem Moos gehüllt waren. Etwas in ihr sehnte sich danach, endlich den Golf zu sehen, als würde jenseits des blauen Wassers die Freiheit auf sie warten, die sie in New Orleans nicht gefunden hatte. Wie widersprüchlich ein Mensch doch sein konnte, wenn er so zu empfinden fähig war.
Ihr gegenüber an der Reling stand ein schlanker Gentleman, der in Melancholie versunken zu sein schien und so über das Geländer gebeugt stand, als erwäge er, ins Wasser zu springen. Als er jedoch Sonia bemerkte, richtete er sich auf und straffte den Rücken. Dann verbeugte er sich hochachtungsvoll und wünschte ihr und ihren Begleitern einen guten Morgen.
Er war jung, vermutlich unlängst erst volljährig geworden, überlegte Sonia. Im traditionellen französisch-kreolischen Stil sah er gut aus, seine olivefarbene Haut deutete auf spanische Vorfahren hin, aber er wies noch den unverbrauchten, offenen Gesichtsausdruck eines Mannes auf, der sich bislang nicht dem Zynismus ergeben hatte. Sein seidiges braunes Haar hatte er nach hinten gekämmt, sodass die breite Stirn unbedeckt war. Die von langen schwarzen Wimpern umrahmten dunklen Augen blickten mitfühlend und intelligent in die Welt. Seine vollen Lippen erweckten den Eindruck, dass er sie genauso leicht zu einem Lächeln verziehen konnte, wie er fähig war, die Mundwinkel als Zeichen seiner Langeweile nach unten zu ziehen. Gekleidet war er nach der aktuellsten Mode in einen butterblumengelben Gehrock mit Lederbesatz und bronzefarbene Hose. Dazu trug er das kunstvoll nachlässig gebundene Halstuch der Boheme, in seinem Fall ein beigefarbenes Exemplar mit gelben Punkten, das mit einer Kamee in Form eines Zeus-Kopfes in jenem Stil festgehalten wurde, den der bekannte mulattische Fechtmeister Croquere populär gemacht hatte. All dieser lässigen Eleganz zum Trotz fühlte sich Sonia an einen jungen Hund erinnert, der auf sich aufmerksam machen wollte.
Sein Erscheinungsbild wirkte zudem nahezu kraftlos, was zweifellos durch den deutlichen Kontrast zu Kerr Wallace ausgelöst wurde. Im Vergleich zu der unverfälschten Männlichkeit des Fechtmeisters aus Kentucky erschien
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