Duell der Leidenschaft
barfuß gelaufen. Selbst heutzutage kommt es noch vor, dass ich beim Fechtunterricht auf Schuhe verzichte und nur Strümpfe trage. Das mildert ein wenig meinen ungerechten Vorteil durch meine überlegene Körpergröße.«
Ein kurzer Blick auf die abgehärtete Haut unter seiner Fußsohle, die sie sehen konnte, weil er neben ihr kniete, bestätigte seine Worte. Den Rest - auch seine Anspielung
darauf, dass er gerechtes Kämpfen bevorzugte - nahm sie in sich auf, während sie ihm bei seiner Arbeit zuschaute.
Auf einmal erschien ihr das Schweigen erdrückend. Sie blickte verstohlen in Kerrs Gesicht, doch seine Miene verriet nicht, was in ihm vorging, da er sich ganz auf seine Aufgabe konzentrierte. Seine Hände fühlten sich warm an, während er mit sicherem Griff ihren Fuß hielt. Die wohligen Schauer, die von diesen Berührungen ausgingen, schlichen über ihre Wade hinauf und sammelten sich zwischen ihren Schenkeln.
Sie fuhr mit der Zunge über ihre plötzlich trockenen Lippen und fragte das Erstbeste, was ihr in den Sinn kam. »Haben Sie jemanden entdeckt, der unserer Spur folgt?«
»Keine Menschenseele. Ich habe auch nichts gehört. Sollte uns überhaupt jemand gefolgt sein, dürften wir ihn inzwischen abgehängt haben.«
»Vielleicht hatten sie auch genug mit den anderen Passagieren zu tun und nahmen gar keine Notiz von uns.«
Er nickte zustimmend.
»Die ganze Zeit muss ich an Tante Lily denken.«
Er blickte flüchtig zu ihr. »Ich würde sagen, sie wurde zusammen mit den anderen von den Mexikanern mitgenommen.«
»Falls sie es überhaupt geschafft hat, das Schiff zu verlassen.« Sonias Stimme klang mutlos, während sie den flachen Knoten begutachtete, den er auf ihrem Spann gemacht hatte.
»Das hat sie geschafft. Ich bekam mit, wie Captain Frazier ihr in sein Rettungsboot half.«
Hoffnung keimte in ihr auf, und ihre Laune besserte sich ein wenig. »Tatsächlich?«
»Ich dachte, Sie wüssten das, sonst hätte ich es schon früher erwähnt. Madame Pradat und Madame Dossier mit ihren Kindern saßen in einem anderen. Gervaise ging über Bord, aber seine Mutter gab sich alle Mühe, ihn noch an Bord zu ziehen, als ich sie zum letzten Mal
sah.«
» Merci, le bon Dieu.« Rasch bekreuzigte sie sich. »Und Reverend Smythe?«
»Gott sorgte dafür, dass er gleich im ersten Rettungsboot saß, das zu Wasser gelassen wurde«, antwortete Kerr mit einem ironischen Unterton.
»Ich hoffe, es wird ihnen allen gut gehen.«
Er schaute sie an, als überrasche ihn der Zweifel, der in ihren Worten mitschwang. »Was denn? Glauben Sie nicht an die Vorstellungen Ihres Papas von mexikanischem Edelmut?«
»Sie denn?«
»In gewissem Maße schon. Die Ladys stellen keine Bedrohung dar und werden im nächsten Hafen von Bord gebracht, vielleicht sogar in Vera Cruz, weil es ein militärischer Versorgungspunkt ist. Es könnte sein, dass sie vor uns dort eintreffen. Außerdem ist Ihre Tante die Sorte Frau, die sich nicht unterkriegen lässt.«
Sagte er diese Dinge, um sie zu beruhigen? Oder glaubte er sie auch? In jedem Fall tat es gut, das von ihm zu hören. »Und die anderen? Die Männer?«
»Sie werden sicher einige Fragen beantworten müssen, aber letztlich dürfte es auf das Gleiche hinauslaufen.«
»Ich bete, dass Sie recht behalten werden.«
»Darauf können Sie sich verlassen.«
Was sollte sie sonst auch machen? Sie gab seiner Sichtweise der Dinge den Vorzug, allerdings wäre es ein Stück zu weit gegangen, das auch laut auszusprechen. Also entgegnete sie nichts, sondern stand auf und folgte ihm, als er fertig war und weiterging.
Die improvisierten Sandalen waren erheblich angenehmer, als weiter barfuß durch den Dschungel laufen zu müssen. Dennoch musste sie von Zeit zu Zeit kurz stehen bleiben, um die Strümpfe neu zu binden, mit denen sie ge-
halten wurden. Kerr bot nicht weiter seine Hilfe an, zudem schien er zu ihr auf Abstand zu bleiben. Das war ein ermutigendes Zeichen, überlegte sie in einem Anflug von Optimismus. Er wäre nicht so zurückhaltend, würde er sich nicht zu ihr hingezogen fühlen.
Zugegeben, er hatte sie geküsst, was vielleicht schon Beweis genug war, doch darauf wollte sie sich nicht verlassen. Von ihrer Tante wusste sie, sogar die vornehmsten Gentlemen würden unter den richtigen Umständen die Gelegenheit zu einem Kuss nicht ungenutzt verstreichen lassen. Es lag in der Natur der Männer. Solche Aufmerksamkeiten waren als Kompliment zu verstehen, selbst wenn man sie abweisen musste.
Sonia
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