Duell der Leidenschaft
Wasser, und es könnte sein, dass wir das noch verbliebene Tageslicht ausnutzen müssen.«
Mehr sagte er dazu nicht, und Sonia stellte auch keine Fragen. Sie hatte versucht, ihm entgegenzukommen, und sie war mehr als dankbar dafür, dass ihr Angebot ausgeschlagen worden war. Tatsächlich sehnte sie sich so sehr danach, sich endlich ausruhen zu können, da wäre sie gar nicht auf die Idee gekommen, etwas dagegen einzuwenden.
Und es war auch gut, dass sie die von ihm entdeckte Öffnung im Fels nicht erst in der Dunkelheit betreten hatten.
Tatsächlich handelte es sich gar nicht um eine Höhle, sondern den überwucherten Zugang zu einem alten, immens großen Tempel. Die Steinblöcke, aus denen man das Bauwerk errichtet hatte, waren zum großen Teil eingestürzt und zerbrochen, womit der verbleibende Bereich, in dem sie sich aufhalten konnten, immer noch größer war als ein durchschnittliches Zimmer. Baumwurzeln und Ranken überzogen die Trümmer, ihre Ableger hatten sich einen Weg durch die von Witterung und Erdstößen rissig gewordenen Mauern gebahnt und sich im Inneren ausgebreitet. Flechten und Pilze überzogen die Wände und verdeckten größtenteils die in den Stein gemeißelten, seltsam verworrenen Figuren und Symbole. Echsen in den Farben Grün, Rot und Blau schossen in aberwitzigem Tempo über die Flächen, während Spinnen in den Rissen Netze gebaut hatten, die wie seidene Tunnels wirkten. Über allem hing eine atemlose Stille, als würde jeden Moment etwas zurückkehren, was vor langer Zeit von hier fortgegangen war.
Kerr sah sich in dem dunklen, widerhallenden Raum um, dann drehte er sich zu Sonia um, die am Eingang wartete, und erklärte ihr, es sei alles sicher. Seiner Meinung nach hatten sich zwar in der Vergangenheit auch Tiere hier aufgehalten, aber es gab keine Hinweise darauf, dass sie irgendeiner Kreatur den Platz streitig machen würden.
»Ich habe die Geschichten von verschollenen Indianerstädten gehört«, fuhr er fort und schüttelte ungläubig den Kopf, während er das Gelände vor dem Eingang betrachtete. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal auf eine stoßen würde.«
»Glauben Sie, es gibt noch andere Gebäude?«
»Die muss es sogar geben.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf eine Erhebung hinter ihnen. »Dieser Steinhaufen sieht nicht aus wie von der Natur geschaffen. Es gibt hier ganz sicher eine ganze Menge Ruinen, die halb verschüttet und vom Urwald überwuchert sind.«
Erstaunt begab Sonia sich tiefer in die schattige Zuflucht. Sie faszinierte der Gedanke an all die Menschen, die hier gelebt hatten, die vor langer Zeit hier lachten und weinten, spielten und sangen, liebten und hassten, kämpften und starben. Es mochte lange her sein, doch die Geister dieser Menschen schienen in der drückenden Hitze und Stille immer noch über der Stadt zu schweben. Dort Unterschlupf zu suchen, wo sie einst zu Hause gewesen waren, kam ihr wie ein Sakrileg und zugleich wie ein Privileg vor.
Wie lange sie dastand und in den kühlen, dunklen Raum sah, um dessen Geheimnisse in sich aufzunehmen, wusste sie nicht. Als sie dorthin schaute, wo Kerr zuletzt gestanden hatte, stellte sie fest, dass er in einem Bereich im Schutz des Eingangs kniete, den er freigeräumt hatte. Nun lag vor ihm ein Häufchen aus trockenen Blättern, zerriebener Borke sowie aus Fäden, die aus seinem Hosensaum zu stammen schienen. Daneben lag seine defekte Taschenuhr. Er hielt das gewölbte Schutzglas des Zifferblatts in einer Hand, sodass die Sonnenstrahlen darauffielen und gebündelt wurden. Sonia musste flüchtig lächeln, da sie jetzt verstand, warum sie ihr Nachtlager hatten aufschlagen sollen, solange noch die Sonne am Himmel stand.
Als sie zu ihm kam, stieg eine dünne Rauchfahne aus dem Häufchen auf. Sie kniete sich hin und pustete sanft auf die Glut, damit diese nicht erlosch. Sekunden später erwachte eine winzige Flamme zum Leben, der sie behutsam neue Nahrung gaben, indem sie einzelne Blätter, kleine Zweige und eine Handvoll verrottete Borke nachlegten. Als das Feuer zu knistern begann und die Flamme größer wurde, sah sie durch den Rauch hindurch zu Kerr und lächelte ihn an.
Er erwiderte das Lächeln, seine Augen blitzten auf.
Eine gefährliche Freude überkam Sonia. Sie hatten Feindbeschuss überlebt, waren dem Tod durch Ertrinken und den Gefahren des Dschungels entkommen, um dann hier eine
sichere Zuflucht zu finden. Dass sie noch lebten, kam einem Wunder gleich. Etwas in ihr, eine Art innere
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