Duell der Magier 01 - Unter den magischen Monden
sie sein Gehen, während sie weiter nach der flüchtigen Erinnerung grub.
Der Wurm der Erde. Der Wurm mit den vielen Seelen, der sich durch lebenden Stein frißt. Wurm. Auge.
Sie berührte ihren pochenden Augenfleck.
Ja. Das ist es. Das innere Auge, tot und lebendig. »Tajicho«,
hauchte sie.
Der Jungfrau sei Dank für dieses Geschenk.
Vor Aufregung wie von Sinnen sprang sie auf die Beine und raste bergab zu dem zusammengeringelten toten Wurm. Wenn es blitzte, konnte sie sehen, wie der Shuri triumphierend auf dem Kopf des Nyok tanzte.
Sie stolperte und rutschte die letzten Meter, um nicht auf das kalte, gummiartige Fleisch zu prallen, schüttelte sich und begann dann, die Windungen emporzusteigen, bis sie zu der zusammengefallenen Mähne gelangte. Das rauhe Haar war lang und dick, eher wie Kupferdraht als Haare. Selbst jetzt, da der Wurm tot war, befand sich in der Mähne noch ausreichend
Spannung, um ein Kribbeln durch ihren Körper zu jagen, als sie sich auf den gewölbten Schädel emporhievte. Der Shuri brach seinen Tanz ab und hüpfte auf eine tiefere Windung, wo er sich duckte und sie mit blitzenden Augen und voller Neugier beobachtete.
Sie riß sich zusammen, kniete auf die breite Schnauze und stieß ihre Klinge in das Geflecht von Sehnen und Nerven zwischen den hervorstehenden Augen, wobei sie versuchte, nicht die glasigen Kugeln anzusehen, aus denen an den Einschußstellen der Pfeile eine grünliche Flüssigkeit sickerte. Während sie die Schaftenden herausbog und fortwarf, brannte das Holz völlig durch. Serroi schauderte und hielt sich noch sorgsamer den Rauchschwaden fern, die aus den Augen brodelnd aufzusteigen begannen. In einer besonderen Wölbung des Schädels fand sie in einem Nervenzentrum einen eiförmigen Gegenstand, der gerade bequem in ihre Hand paßte. Das unreife Zentrum der Macht des Nyok. Sie schnitt sorgfältig darum herum, kratzte daran und fischte es vorsichtig heraus, um es so sorgsam wie möglich von Fleisch und Sehnenresten zu befreien.
Sie wischte ihr Messer an dem rauhen Haar sauber und schob es dann in die Scheide zurück. Finger schlossen sich dicht um das Auge, dann stand sie langsam auf und blieb vorsichtig schaukelnd auf dem Kopf des Wurms mit in die Mähne vergrabenen Füßen stehen, wobei sie die nachlassende elektrische Ladung noch immer spürte.
»Meie?«
Sie blickte hinab und sah den Shuri. »Shurid, gefährlich ist, was ich als Nächstes mache, doch es muß sein.« Sie deutete nach oben. »Den Hügel hinauf. Geh. Warte.«
Als sie im Blitzschein sah, daß er sich auf halber Höhe des Berges befand, blickte sie hinab auf das stumpfe, blutige Ding in ihrer Hand, versuchte sich an dem Lied, das sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesungen hatte, und ließ durch die Worte und den Rhythmus ihren Geist und ihren Willen lenken.
Die Erinnerung an einen Schmerz lenkte sie mit plötzlicher Vehemenz von der nötigen Konzentration ab. Der Gesang brachte zu lebhaft die Süße der frühen Tage im Turm zurück, Tage wie aus einem längst verlorenen Paradies. Sie blickte zu den Wolken hinauf, seufzte und richtete ihr Denken dann auf den Gesang. Sie sang die Worte in den Sturmwind, der um sie heulte und ihr Haar zu feuchten Strähnen peitschte, die an ihrem Körper klebten, hielt das Auge über ihren Kopf und rief den Blitz zu sich hernieder. Neben ihr schlug ein Lichtstrahl in den Schädel des Wurms ein. Der Gestank von sengendem Haar und verkohltem Fleisch umwehte sie. Sie sog einen Zug ein, spie aus und rief erneut.
Ein großer, gezackter Blitz traf in das Auge. Ihr Körper bebte vor Schreck und Schmerz. Sie fiel auf die Knie, begann herabzurutschen, ließ sich hilflos von Windung zu Windung des bereits faulenden Fleisches fallen, bis ihr Kopf gegen einen Stein schlug und sie die Besinnung verlor.
Sie erwachte auf der Erde neben dem Nyok'chui, und ihr tat alles weh, als hätte man ihr die Knochen auseinandergezerrt, und sie dann zurückschnappen lassen. Sie blutete aus Schürfwunden an Armen und Knien und hatte eine Verbrennung auf der Wange. Doch das Auge hielt sie noch fest umklammert. Der Shuri kauerte ängstlich neben ihr. Sie lächelte ihm zu, als sie ihn bemerkte, zuckte jedoch zusammen, als die Muskelspannung auf ihrer versengten Wange schmerzte.
Das Auge lag warm in ihrer Hand. Als sie die Finger öffnete, schmiegte es sich in ihre Handwölbung, ein neugeschaffener Kristall mit weichem Bernsteinschimmer in seinem Innern. Sie streichelte ihn mit dem Zeigefinger der
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