Duell im Eis
Leben ist jenseits aller Logik.«
»Da haben Sie recht. Viel Glück, Commander Brooks.«
»Danke, Sir.«
General Seymore legte auf. Nachdenklich blickte er über den Tisch, schob das Frühstücksgeschirr von sich und legte die Hände übereinander. Sein Appetit war vergangen, der verlockende Duft der frischgebackenen Brötchen konnte ihn nicht mehr reizen. Über dem Meer, dachte er. Wenn Ric über das Meer geflogen ist, dann muß er etwas Außergewöhnliches gesehen haben. So weit vom Kurs abzukommen war unmöglich; selbst der schlechteste Flugschüler hätte so etwas nicht fertiggebracht. Aber Brooks würde nichts finden, dessen war sich Seymore sicher, und zurückbleiben würde das große, unlösbare Rätsel, daß zwei Menschen und ein Hubschrauber auf einem Eisberg spurlos verschwinden konnten.
Noch einmal, zum letztenmal, wie sich Brooks sagte, alarmierte er seine beste Staffel. Lieutenant McColly, Sergeant Lamboretti, Sergeant Panzer und Sergeant Jess meldeten sich auf dem Flugfeld bei der Wachbaracke, bekleidet mit ihren dicken Polarfliegerkombinationen und den gepolsterten Helmen mit dem eingebauten Sprechfunk. Wortlos sahen sie Brooks an, in ihren Augen las man deutlich das Mitleid.
»Ich weiß genau, was ihr denkt«, sagte Brooks halblaut und blickte vom einen zum anderen. »Der Alte ist verrückt, denkt ihr. Er rennt einem Phantom nach. Verrückt bin ich nicht; aber wenn es ein Phantom gibt, dann will ich's sehen, da habt ihr recht! Wir werden die ganze Küste von ›Big Johnny‹ abfliegen, rundum, und auch das Meer absuchen.«
»Die Küste?« fragte McColly. »Ric hat Miß Allenby gesucht, und die ist bestimmt nicht im eisigen Meer schwimmen gegangen.«
»So logisch kann ich auch denken. Trotzdem könnte Ric zur Küste abgebogen sein, aus welchem Grund auch immer. Es ist unser allerletzter Versuch! Also: An die Maschinen!«
Die Staffel stieg auf, formierte sich in der Luft zu einer Querreihe und flog bis zu der Stelle, wo sie Mulder gefunden hatten. Dort schwenkte sie ab zur Küste, löste sich auf, und hintereinander suchten sie die wild zerklüftete Küste des Eisberges ab und das von dicken Eisschollen übersäte Meer. Ab und zu führten wie riesige Rutschbahnen Gletscher in die See, oder es waren sogar sanfte Hänge, die an flachen Ufern endeten; diese gingen dann wieder in hohe, spitze Eissäulen, zerklüftete Spalten und kleine Berge über: eine schreckliche und doch faszinierende Urlandschaft, die nie eines Menschen Fuß betreten konnte.
Ab und zu, in Abständen von jeweils zwei Minuten, empfing Brooks in seinem Kopfhörer die Meldungen der anderen Hubschrauber.
»Nichts, Sir.«
»Nichts Neues, Sir.«
»Nichts, Sir.«
Brooks nickte. Er hatte nichts anderes erwartet. Er flog am Ende der Kette, in der Hoffnung, etwas zu finden, was die anderen übersehen hatten. Vielleicht einen Ölfleck; Öl kommt nicht von allein auf einen Eisberg. Wo Öl ist, muß auch ein Mensch oder eine Maschine sein. Öl ist die verläßlichste Spur. Gott im Himmel, laß uns eine Ölspur finden …
Brooks zuckte heftig zusammen, als er die Stimme von Lieutenant McColly im Kopfhörer vernahm.
»Commander, da ist etwas!« rief McColly aufgeregt. »Ich sehe was!«
»Öl?« schrie Brooks zurück.
»Nein, unter mir ist ein Haus, eine Baracke, weiß gestrichen … fabelhaft getarnt. Eine Baracke an einem Hang, der in eine Art Plateau aus Eis übergeht, wie eine Aussichtsplattform über dem Meer.«
»McColly, wenn das stimmt … Alle Maschinen zu Lieutenant McColly! Bleiben Sie über dem Objekt!«
»Verstanden, Commander.«
Brooks ließ die Motoren aufknattern, gab Vollgas und flog mit höchster Geschwindigkeit zu den anderen Maschinen. Wie Riesenhornissen umschwirrten sie einen kleinen Küstenstreifen, wie schreiende Geier, die ihr Opfer einkreisen. Brooks sah es jetzt auch: an den Eishang angelehnt eine weiß gestrichene Baracke, seitlich davon zwei Stapel verschneites Holz und ein abgedeckter Klumpen, den man aus der Luft nicht bestimmen konnte.
Ein Haus! Ein Haus auf einem unbewohnten Eisberg! Getarnt, nicht sichtbar für ein Satellitenauge! Menschen, von denen niemand eine Ahnung hatte! Ric und Virginia … War hier das Geheimnis ihres spurlosen Verschwindens?
Brooks' Herz begann wie irr zu klopfen. Er hörte, wie ihm das Blut rauschend in den Kopf stieg und sich ein Druck unter der Schädeldecke bildete. »Wir … wir landen!« rief er in sein Mikrofon. »Wie sind wir bewaffnet?«
Eine berechtigte Frage.
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