Duell im Eis
Herzen, sagten kein Wort, gingen nicht aufeinander zu und umarmten sich nicht.
So standen sie eine Weile voreinander, bis Henderson leise sagte: »Virginia …«
»Ric …«
»Ich habe dich gesucht.«
»Jurij hat es mir erzählt. Es ist gut, daß wir uns wiedersehen.«
Sie sagte ›gut‹, nicht ›schön‹, kein Jubel war in ihrer Stimme, nicht Tränen der Freude. ›Gut‹, sagte sie. Nur ›gut‹. Henderson wandte sich ab und trat an das Fenster. An der Pier sah er Ljuba stehen, Malenkow erklärte ihr etwas mit großen Gesten. »Du hast mit Jurij geschlafen?« fragte er.
»Ja.« Es war eine klare Antwort ohne den Ton einer Entschuldigung. »Und du? Hast du mit Ljuba geschlafen?«
»Ja.« Henderson trat vom Fenster weg und wandte sich wieder Virginia zu. Er war erstaunt, wie ruhig er war, wie wenig ihn ihr Eingeständnis berührte. »Liebst du ihn?«
»Ich weiß es nicht, Ric. Er ist so anders als du. Ein romantischer Mensch. Ein Held der Sowjetunion, der mir Shakespeare vorliest, auf deutsch. Der keine Ahnung von Football hat und nicht jeden Morgen ein paar Kilometer joggt.«
»Wie schön für dich, Virginia!«
»Liebst du Ljuba, Ric?«
»In nur einer Nacht bin ich ein anderer Mensch geworden.«
»Glücklich?«
»Sehr glücklich, Gina.« Henderson ging zum Tisch und setzte sich auf die Eckbank. Der Tisch war gedeckt, als habe sich ein lieber Besuch angesagt. Duftender Tee, ein Kuchen, den Sumkow gebacken hatte, nachdem Pralenkow ihn wieder an seine Unterschlagungen erinnert hatte, Geschirr aus grusinischem Porzellan, mit blauen und goldenen Sternen bemalt. Sogar Papierservietten lagen auf den Tellern. Vier Gedecke, als sei das selbstverständlich.
»Seymore und Brooks werden keine Ruhe geben, bis sie uns gefunden haben«, sagte Ric.
»Sie werden uns nicht finden. Aus der Luft ist gar nichts zu sehen, in die Bucht und den Fjord kommt man nur unter Wasser. Man wird uns nie entdecken.«
»Du sagst das, als wenn du dich darüber freust.« Er goß sich Tee ein und süßte ihn mit dem Honig, der auf dem Tisch stand. »Wer von euch hat den ersten Schritt getan?« fragte er plötzlich.
»Ich weiß es nicht. Es ist einfach geschehen. Plötzlich waren wir uns nahe. Wie war es bei dir?«
»Ich war betrunken vom Wodka, aber dann, in der Nacht, war es Liebe, wie eine Explosion in mir.« Er staunte darüber, wie ruhig man über diese Dinge sprechen konnte, wie wenig das Herz darauf reagierte. »Du weißt, was die Russen mit uns vorhaben?«
»Ja. Aber Jurij will es verhindern.«
»Es wird ihm nicht gelingen. Jetzt hat nicht mehr Schesjekin zu entscheiden, sondern Moskau. Und er wird gehorchen. Er ist in erster Linie Offizier.«
»Er wird alles versuchen, Ric.«
»Und er wird alles verlieren. Sie werden uns nach Sibirien bringen, sagt Ljuba.« Er hob die Schultern und schlürfte den heißen Tee. »Auch sie glaubt an ein Wunder. Ich nicht. Wir haben zu viel gesehen, wir kennen dieses große Geheimnis der Sowjetunion, wir müssen für die Welt tot sein. Warum soll man großherzig sein? Wir gelten als vermißt, und nicht lange wird es dauern, und man hat uns vergessen.«
»Ich glaube auch an ein Wunder, Ric. Irgendwo in Rußland werden wir weiterleben.«
»Jurij, ein degradierter Kapitän zur See. Das hält er nicht aus.«
»Du hältst es auch aus, Ric.«
»Mir bleibt keine andere Wahl. Ich würde lieber mit Ljuba auf einer Farm in Tennessee leben.«
»Sie auch?«
»Es gibt keinen Platz auf dieser Welt, auf dem wir nicht glücklich sein könnten.«
»Und da fragst du mich, was aus mir und Jurij wird? Vielleicht kann ich in Rußland als Meeresbiologin arbeiten. Meinen Namen kennen die sowjetischen Kollegen sicherlich.«
Es klopfte dreimal an der Haustür. Jurij und Ljuba kamen herein, legten ihre Mäntel ab und waren so fröhlich wie spielende Kinder.
»Tee und Kuchen!« rief Ljuba und klatschte in die Hände. »Der gute Sumkow! Und mein bestes Geschirr habt ihr gedeckt. So ist es richtig, ein Feiertag ist heute.« Sie beugte sich über Virginia, gab ihr einen Kuß auf die Stirn, und Virginia stellte mit Staunen fest, daß es eine andere Ljuba war als die, welche sie verhört hatte. Verwandelt war sie, ein völlig anderer Mensch.
Zum erstenmal streckte Jurij seine Hand Henderson hin. Er machte ein ernstes Gesicht und sprach einige Worte.
»Er sagt: ›Wir wollen Freunde sein‹«, übersetzte Ljuba. »›Zwischen uns gibt es keine Staaten, wir haben das gleiche Schicksal.‹«
»Das sieht er genau
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