Duell: Island Krimi (German Edition)
Spurensicherung untergebracht, einer kleinen Abteilung, die aber ständig vergrößert werden musste. Albert hatte lange Haare und einen Vollbart, er trug am liebsten Jeans und lässige Hemden. Marian Briem fand, dass er aussah wie ein Hippie, und äußerte sich hin und wieder kritisch zu Alberts Haaren und seiner Aufmachung, vor allem, seitdem sich herausgestellt hatte, dass er über eine Seelenruhe und Langmut verfügte, wie sie nur wenigen gegeben war, und daher solche Bemerkungen an ihm abprallten. Albert wusste, dass es einige Zeit dauern würde, bis Marian Briem ihn akzeptierte. Sie waren gezwungen, sich das Büro zu teilen, das bis dahin ausschließlich Marians Reich gewesen war. Aber jetzt mussten sie eben das Beste aus dieser Situation machen. Ihn störte nur, dass Marian stark rauchte, besonders im Büro. Der große Aschenbecher war fast immer voller Kippen.
Albert hatte dreimal versucht, Marian Briem zu wecken, doch erst beim vierten Versuch regte sich etwas auf dem Sofa. Marian hatte fest geschlafen, und etwas aus dem Traum schien sich in den wachen Zustand fortzusetzen. Möglicherweise war es aber auch nur eine Erinnerung, die im Schlaf hochgekommen war. Mit den Jahren wurde es immer schwieriger, dazwischen zu unterscheiden. Aber da waren einfach immer noch diese altbekannten Bildfragmente aus einem dänischen Tuberkulosesanatorium: blütenweiße, im Sommerwind flatternde Bettwäsche; Stuhl an Stuhl in der halbkreisförmigen Liegehalle; Patienten, die bereits so gut wie am Ende ihrer Kräfte waren; und ein Tisch mit medizinischen Geräten, langen Nadeln, die dazu dienten, Luft in den Brustkorb zu pumpen, um die Lungentätigkeit zu deaktivieren.
»Marian«, sagte Albert ein wenig verärgert. »Hörst du nicht, was ich sage? Im Hafnarbíó wurde ein Junge erstochen. Sie warten auf uns. Die Spurensicherung ist schon auf dem Weg dorthin.«
»Erstochen? Im Hafnarbíó?«, fragte Marian und richtete sich auf. »Hat man den Täter schon fassen können?«
»Nein. Der Junge war ganz allein in diesem Kinosaal, als der Platzanweiser ihn fand«, sagte Albert.
Marian stand auf.
»Im Hafnarbíó?«
»Ja.«
»Hat dieser Junge sich einen Film angesehen?«
»Ja.«
»Und er wurde mitten im Film erstochen?«
»Ja.«
Marian Briem stand mit steifen Bewegungen auf. Die Meldung war kurz zuvor eingegangen. Der Platzanweiser hatte angerufen und mit sich überschlagender Stimme verlangt, dass die Polizei kommen solle, auf der Stelle. Der Mann in der Telefonzentrale musste sich zweimal erklären lassen, was passiert war. Zwei Streifenwagen und ein Krankenwagen waren bereits unterwegs, als die Meldung an die Kriminalpolizei weitergeleitet wurde. Albert nahm sie in Empfang, informierte seine Vorgesetzten, schickte die Kollegen von der Spurensicherung zum Tatort und weckte Marian Briem.
»Würdest du denen bitte sagen, dass sie vorsichtig sein sollen und nicht mit ihren dreckigen Schuhen auf allem herumtrampeln?«
»Wem soll ich das sagen?«
»Denjenigen, die sich bereits am Tatort befinden!«
Tatsächlich kam es nicht selten vor, dass diejenigen, die als Erste an einem Tatort eintrafen, dort gedankenlos herumstiefelten und auf diese Weise große Teile der Ermittlungsarbeit zunichtemachten.
Das Hafnarbíó wäre ohne Weiteres zu Fuß zu erreichen gewesen, doch angesichts der gebotenen Eile zogen Marian und Albert es vor, mit dem Dienstwagen zu fahren. Sie bogen vom Borgartún auf die Skúlagata ein und fuhren bis zur Ecke Barónsstígur, wo sich der Eingang zum Hafnarbíó befand. Das Kino war eine alte Militärbaracke mit Wellblechdach, eine Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und das, was Island zu den Weltereignissen beigetragen hatte. Die Baracke war ursprünglich als Offizierskasino für das englische Militär errichtet worden. Das weiß gestrichene Foyer hatte Betonwände, alles andere bestand aus Blech und Holz.
»Wer ist das eigentlich, diese Mutter von Sylvia?«, fragte Marian urplötzlich auf dem Weg zum Kino.
»Wie bitte?«, sagte Albert, der am Steuer saß und sich auf das Fahren konzentrierte.
»Sylvias Mutter, von der die da dauernd im Radio singen, was für eine Sylvia ist das? Und was ist das für eine Geschichte mit ihrer Mutter? Worum geht’s da eigentlich?«
Albert spitzte die Ohren, aus dem Radio erklang ein sehr bekannter amerikanischer Schlager , Sylvia’s Mother . Er wurde bereits seit Wochen in der Popmusik-Hitparade des isländischen Rundfunks gespielt.
»Ich wusste gar nicht, dass du
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