Duell: Island Krimi (German Edition)
zu locken. Er und Bríet hatten Bekanntschaft mit ihm geschlossen, und daraus war eine Freundschaft entstanden, die trotz der Jahre und der Entfernung immer enger geworden war. Juri war von Anfang an sehr ehrgeizig gewesen, und sie hatten aus der Ferne mitverfolgen können, wie er im Laufe der Zeit zu Rang und Namen innerhalb des sowjetischen Systems gekommen war. Juri und Viðar waren sich oft im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit wiederbegegnet, vor allem auf großen Parteikongressen, auf denen es darum ging, die Vorbildlichkeit der Sowjetunion zu bejubeln. Als er erfuhr, dass Juri ihn brauchte, hatte er keinen Moment gezweifelt. Das hatte er erst getan, als ihm klar wurde, um was es ging.
Viðar schrak zusammen, als das Telefon auf seinem Schreibtisch zu klingeln begann. Zögernd streckte er die Hand nach dem Hörer aus. Was war nach dem Besuch der Kriminalpolizei noch zu erwarten? Es war Bríet. Er erzählte ihr von dem Besuch der Polizei und dass er zu den Ereignissen im Hafnarbíó befragt worden sei.
»Was wissen sie?«, fragte Bríet. Viðar hörte an ihrer Stimme, wie groß ihre Angst war.
»Ich … Schwer zu sagen.«
Er wollte sie auf keinen Fall noch mehr beunruhigen.
»Was … Was war los …?«
»Sie hatten ein Foto von Juri, sie wollten wissen, ob ich ihn kenne. Was wissen sie tatsächlich über Juri? Wie in aller Welt haben sie das herausbekommen?«
»Keine Ahnung. Bisher konnte ich alles abwimmeln, aber ich bezweifle, dass das noch lange gut geht.«
Beide schwiegen eine Zeitlang.
»Du hättest es niemals tun dürfen«, erklärte Bríet schließlich. »Niemals.«
»Natürlich nicht«, entgegnete Viðar. »Aber es ist doch müßig, im Nachhinein darüber zu spekulieren.«
»Der arme Junge, er …«
»Bitte Bríet, fang nicht an zu weinen.«
»Was wirst du tun?«
»Nichts. Wir halten uns an die Vereinbarungen, solange wir keine anderen Informationen haben, machen wir so weiter wie bislang.«
»Und was ist mit Juri?«
»Alles läuft wie geplant, Bríet. Du hast recht gehabt, es gibt keine andere Möglichkeit für uns beide.«
Mehr gab es nicht zu sagen, und als das Gespräch ins Stocken geriet, verabschiedeten sie sich. Viðar stand auf, ging zum Wohnzimmerfenster und sah in den Garten. Diese ganze Sache hatte eine entsetzliche Wendung genommen, und er wünschte, er hätte sich nie in ein solches Komplott hineinziehen lassen. Am liebsten würde er mit der isländischen Kriminalpolizei darüber sprechen, aber das war einfach nicht mehr möglich. Er konnte es nicht, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Vielleicht, wenn alle in Sicherheit waren. Bríet wollte Gerechtigkeit, und damit hatte sie ihn auf ihre Seite gezogen. Es drehte sich nur noch um die Frage, ob die Rechnung aufging oder nicht.
Er hatte geahnt, dass es früher oder später darauf hinauslaufen würde, dass Bríet und er mit den schrecklichen Ereignissen im Hafnarbíó in Verbindung gebracht werden würden. Er bedauerte zutiefst, was dort passiert war, vor allem seinen Anteil an den Geschehnissen. Viðar blickte in den Garten, wo das Geheimnis unter einer großen Kiefer vergraben lag. Er dachte an den Jungen im Kino, und er spürte einen Kloß im Hals, und wieder verspürte er diesen Druck in der Brust, als würde es ihm das Herz zerreißen.
Er dachte an die Veranstaltungshalle und an das, was dort bevorstand. Juri hatte klare Vorgaben gemacht, er bestimmte den Kurs und die Vorgehensweise. Das hatte er schon in Moskau getan.
In den Spätnachrichten im Radio hörte Viðar, dass die dreizehnte Partie abgebrochen worden war, die Hängepartie würde am nächsten Tag fortgesetzt werden. Die Experten stritten sich darüber, wer von beiden die bessere Position hatte, Fischer oder Spasski. Alle waren sich aber einig, dass es in diesem Duell keine vergleichbar hochklassige Partie gegeben hatte, es sollte wohl ein historisches Weltmeisterschaftsmatch werden. Falls Fischer den Sieg davontrug, würde sein Vorsprung so groß sein, dass ihn kaum noch etwas daran hindern konnte, hier auf Island Weltmeister zu werden.
Vierunddreißig
Gleich am nächsten Morgen bestellte der Dezernatsleiter Marian zu einem Treffen.
»Ich muss mit dir reden, Marian«, sagte Johannes, der im dunklen Anzug und mit ernster Miene in der Tür zum Büro von Albert und Marian stand. »Würdest du bitte einen Augenblick in mein Zimmer kommen?«
»Wäre es nicht besser, auf Albert zu warten?«, sagte Marian. »Er muss jeden Moment kommen.«
»Nein,
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