Duell: Island Krimi (German Edition)
drehte den Rollstuhl um und schob ihn zurück zum Sanatorium. Das Gebäude war auf weichem Untergrund errichtet worden, es ruhte auf Pfeilern, die tief in den Boden gerammt worden waren. Im Herbst wehte immer eine kalte Brise vom Meer herüber. Marian brachte Katrín zum Zimmer, half ihr ins Bett und setzte sich auf den Stuhl daneben, um Katrín wieder aus einem Buch vorzulesen, das eine Leihgabe aus der Bibliothek war. Das Märchen von der kleinen Seejungfrau.
Eine Woche später stieg Marian in den Zug nach Kopenhagen. Zuvor war ein weiteres Mal Luft zwischen die Rippen gepumpt worden, sodass es bis zum Wiedersehen mit Athanasius reichen würde. Es war kein fröhlicher Abschied, denn Katrín blieb allein zurück. Ihr ging es aber nach den ersten schlimmen Wochen endlich wieder etwas besser. Sie lächelte, als sie sich von Marian verabschiedete, und versprach zu schreiben. Auch Marian wollte ihr jede Woche einen Brief schicken.
Auf der Schiffsreise nach Island träumte Marian zwei Nächte hintereinander denselben Traum und schreckte jedes Mal verstört aus ihm hoch:
Der Himmel war sternenklar, und ein weicher Nebelschleier lag über dem Fjord, als sich die Tür öffnete und kleine Füße hinaustrippelten, an der Liegehalle vorbei über die Wiese hinunter zum Meer. Sie wateten in das schauerlich kalte Wasser, und die Strömung trug sie mit sich hinaus aufs Meer, wo kleine Seejungfrauen die Seelen der Unglücklichen und Trauernden in Empfang nahmen und sie mit sich in die Tiefe zogen.
Zweiunddreißig
Viktoria war sich ihrer Sache vollkommen sicher, der Mann in dem hellen Mantel war derselbe, den sie im Hafnarbíó gesehen hätte – sie hatte nur einen kurzen Blick auf das vergrößerte Foto zu werfen brauchen. Und es war derselbe Mann, den sie im Hotel Loftleiðir gesehen hatte. Also war der Mann tatsächlich in der Delegation des sowjetischen Sportministers gekommen, der nach Island gereist war, um Spasski beim Match des Jahrhunderts zu unterstützen. Und an dem Tag, an dem Ragnar sterben musste, war er im Hafnarbíó gewesen.
Marian und Albert waren nach dem Besuch bei Viktoria ein weiteres Mal ins Hafnarbíó gefahren, um der Frau an der Kasse und dem Platzanweiser das Foto zu zeigen, aber weder sie noch er hatten den Mann auf dem Foto bemerkt. Der Platzanweiser erinnerte sich auch nicht, den Mann eingelassen zu haben, allerdings war er ja auch eine Zeit lang nicht anwesend gewesen.
Marian Briem hatte sich ein älteres Foto von Viðar besorgt, das aus einem alten Rundschreiben der Sozialistischen Partei stammte, da es keine anderen offiziellen Fotos von ihm gab. Deswegen hatte es womöglich nichts zu bedeuten, dass weder Kiddý an der Kasse noch der Platzanweiser sich daran erinnern konnten, ihn in der Vorstellung gesehen zu haben. Und ob er draußen vor dem Kino gestanden hatte, konnten sie erst recht nicht wissen. Jedenfalls war Viðar Eyjólfsson kein häufiger Gast im Hafnarbíó gewesen.
»Wäre es nicht richtig, sich bei den Ermittlungen ganz auf diese Parteiverbindungen zu konzentrieren und die anderen im Präsidium auch davon zu überzeugen?«, hatte Albert gefragt, als Marian ihn nach Hause fuhr.
»Ich weiß es nicht, Albert«, hatte Marian geantwortet. »Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, aber vielleicht nicht unbedingt beim derzeitigen Stand der Ermittlungen. Ich möchte heute Abend noch diesem Viðar ein wenig auf den Zahn fühlen.«
»Auf den Zahn fühlen?«
»Ich werde ihm das Foto des Mannes zeigen«, sagte Marian. »Falls er mich in seine Wohnung lässt, hat er sehr wahrscheinlich nichts zu verbergen. Falls er mich abweist, könnte man daraus bestimmte Schlüsse ziehen.«
»Wäre es nicht besser, wenn ich dabei wäre?«
»Nein, im Augenblick ist das nicht nötig.«
»Scheint ja eine hochpolitische Angelegenheit zu sein.«
»Ja, im Moment ist es noch so.« Marian zögerte immer noch, ihm von den Abhöraktionen zu erzählen.
»Willst du nicht lieber warten, bis du mehr von den Fingerabdrücken weißt?«, fragte Albert, als Marian vor seinem Haus hielt. »Vielleicht hat er ja überhaupt nichts mit dem Kino zu tun.«
»Ich will ja nur, dass er einen kleinen Schreck bekommt«, sagte Marian. »Ich glaube, es könnte unser Mann sein.«
»Wieso bist du dir da so sicher?«
Marian antwortete nicht.
»Warum, Marian? Was weißt du, wovon ich nichts weiß?«
»Sei so lieb und hab ein bisschen Geduld mit mir. Ich hoffe, das alles wird sich in der nächsten Zeit klären, und dann
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