Duell: Island Krimi (German Edition)
ins Haus lassen?«
»Was unterstellst du mir da?«, sagte Viðar. »Was ist mit dem Hafnarbíó? Was soll dieser Schwachsinn?«
»Warst du in dem Kino, als der Junge ermordet wurde?«
»Was fällt dir eigentlich ein, mich so etwas zu fragen? Willst du damit andeuten, dass ich etwas mit diesem Wahnsinn zu tun habe?«
Marian antwortete nicht gleich. Ein Auto bretterte mit heulendem Motor die Straße entlang und bog in die Snorrabraut ein. Drei johlende Kinder fuhren auf ihren Rädern auf dem Bürgersteig vor Viðars Haus vorbei, ohne den beiden Erwachsenen Aufmerksamkeit zu schenken. Ihre Stimmen hallten zwischen den Häusern wider, bis sie um die nächste Ecke bogen.
Marian holte das Foto von dem Mann im hellen Mantel heraus und zeigte es Viðar, gab es aber nicht aus der Hand.
»Weißt du, wer dieser Mann ist?«, fragte Marian.
Viðar warf einen flüchtigen Blick auf das Bild und starrte dann wieder Marian an.
»Nein«, sagte er.
»Ganz sicher?«
»Ja.«
»Willst du es dir nicht genauer ansehen?«
»Nein, das ist nicht nötig«, erklärte Viðar.
»Wegen gewisser Hinweise, die uns vorliegen, habe ich beschlossen, dich zu kontaktieren, so diskret wie möglich«, sagte Marian. »Möglicherweise entbehren sie jeglicher Grundlage, und dann bitte ich um Entschuldigung.«
»Ich will mir diesen Quatsch nicht länger anhören. Gewisse Hinweise …«
»Glaubst du, dass dein Leben in Gefahr ist?«, fiel Marian ihm ins Wort.
Viðar verschlug es eine Zeitlang die Sprache.
»Das muss ein Missverständnis sein«, sagte er schließlich. »Du musst mich mit jemand anderem verwechseln.«
»Glaubst du, dass dein Leben in Gefahr ist?«, wiederholte Marian.
»Ich weigere mich, darauf zu antworten«, sagte Viðar.
»Na schön. Dann gute Nacht.«
Schweigend blickte Viðar hinter Marian her. Einen Augenblick wirkte es, als wolle er dem unerwarteten abendlichen Gast etwas nachrufen, aber dann ließ er es bleiben. Die Tür schloss sich.
Marian setzte sich ins Auto, fuhr aber nicht gleich los, sondern dachte nach. Natürlich war bei dieser ersten Begegnung nichts anderes zu erwarten gewesen, als dass Viðar in die Defensive gehen würde. Dennoch war der Besuch nicht ganz umsonst gewesen. Zwar wusste Viðar jetzt, dass die Kriminalpolizei sich für ihn interessierte und ihn verdächtigte, etwas mit dem Mord im Hafnarbíó zu tun zu haben, doch genau das konnte auch dazu führen, dass der Fall in Bewegung geriet und dass Viðar aus der Reserve gelockt werden würde und er vielleicht einen Fehler beging.
Marian nahm noch einmal das Foto von dem Mann im hellen Mantel zur Hand. Viðars Reaktion darauf war hochinteressant gewesen. Er hatte zwar nur aus den Augenwinkeln geschielt und so getan, als wüsste er von nichts, als ginge ihn das Foto nichts an, aber sein Mienenspiel hatte verraten, dass es ihm schwergefallen war, seine Überraschung zu verbergen.
Dreiunddreißig
Viðar setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, der in einer Nische im Wohnzimmer stand. Das Radio lief, aber er war zu beunruhigt, um weiter zuzuhören. Er wusste, dass er kaum hatte verbergen können, wie sehr ihn dieser Besuch erschreckt hatte. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie die Polizei auf ihn gekommen war. Er war sich sicher, keinerlei Spuren hinterlassen zu haben, und ebenso sicher war er, dass auch sein Freund das nicht getan hatte. Und Bríet erst recht nicht. Von anderen wusste er nicht, es sei denn, dass irgendwelche Leute aus dem anderen Lager ihre Schnauze nicht hatten halten können, doch das hielt er für unwahrscheinlich.
Nach diesem Besuch waren seine Angst und die Ungewissheit darüber, welchen Verlauf die ganze Sache inzwischen genommen hatte, noch größer geworden. Er wünschte sich sehnlichst, dass er nicht in diese Dinge verwickelt worden wäre, sie waren ihm vollkommen über den Kopf gewachsen. Aber was hätte er tun können? Er konnte doch einem alten Freund nichts abschlagen.
Sie hatten sich unter seltsamen Umständen an der Internationalen Lenin-Schule in Moskau kennengelernt, zu einer Zeit, in der Stalins Verfolgungswahn auf dem Höhepunkt gewesen war. Menschen wurden einfach festgenommen. Einige wurden des Landes verwiesen, andere tauchten nie wieder auf. Schon das geringste Abweichen vom linientreuen Verhalten konnte einem Unannehmlichkeiten bescheren. Er wusste, dass Juri damit beauftragt war, Studierende auszuspionieren und sie gleichzeitig auf die trügerischen Pfade der Idee von einer perfekten Gesellschaft
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