Dünengrab
sagen.« Torsten stieß sich mit der Hüfte vom Türrahmen ab und verschwand wieder auf dem Flur.
Femke seufzte. Dann schloss sie die Tür, klappte den Laptop wieder auf und entfernte den USB -Stick. Ihr Blick fiel auf »Im Abgrund«, das neben dem Computer lag. Tja, dachte Femke, ihr Bild von Tjark hatte sich in der kurzen Zeit ganz schön gewandelt. Er war kein Held oder ein Superpolizist. Er war jemand mit Makeln und Fehlern. Kurz hatte sie die Hoffnung gehabt, er wolle sie unter seine Fittiche nehmen, seitdem er wusste, dass sie zur Kripo wollte. Wahrscheinlich war das auch nur Einbildung gewesen.
Jedenfalls, und das war keine Einbildung, sah er im Original wesentlich besser aus als auf dem Cover. Wenn er nur nicht so viel rauchen würde. Femke schmunzelte und fuhr den Laptop herunter. Sie steckte den Stick in die Hosentasche und beschloss, Fred von zu Hause aus anzurufen und über die Aufnahmen zu informieren. Dann nahm sie ihren Fahrradhelm und ging.
28
Tjark stieß einen Rauchkringel in den Abendhimmel und sah ihm hinterher. Am Mittag hatte er sich bei der Pressekonferenz abfilmen und fotografieren lassen. Verhoevens Einschätzung war richtig gewesen: Die Medien hatten sich nicht nur auf die Nachricht von den spektakulären Leichenfunden, sondern auch auf Tjark persönlich gestürzt. Nicht dass ihm das etwas bedeutet hätte. Aber es half, wieder in den Sattel zu gelangen. Danach war er mit Verhoeven in die Rechtsmedizin gefahren, um die Obduktionen zu begleiten. Fred hatte derweil die Angelegenheiten in Werlesiel weiter koordiniert. Am frühen Abend hatte Verhoeven genug gesehen und war wieder verschwunden. Tjark war geblieben, hatte sich aber zum Telefonieren und Rauchen nach draußen verzogen. Es gab einiges zu organisieren, und in der Zwischenzeit hatten sich zehn unbeantwortete Anrufe von Kollegen angesammelt, die von Tjark etwas wissen mussten oder um eine Order baten.
Die Kronen der Pappeln hinter dem Parkplatz sahen im Abendrot aus wie Scherenschnitte. Ein Geschwader Krähen hatte sich in den Bäumen niedergelassen. Einige Tiere kreisten noch wie schwarze Schatten mit trägem Flügelschlag in der milden Luft und schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie bei dem Schwarm landen sollten. In Märchen wiesen Krähen Suchenden oft den richtigen Weg. Aber dies war kein Märchen. In der Mythologie symbolisierten sie die Weisheit. Doch dies war auch keine Sage. Im Mittelalter galten sie als Galgenvögel, weil sie über die Leichen Hingerichteter herfielen. Das traf es schon eher.
Tjark schnippte die Zigarette weg. Mit einem Zischen öffnete sich die zweiflügelige Glastür automatisch. Im Gehen setzte er den Mundschutz wieder auf. Dann betrat er die Leichenhalle der Rechtsmedizin, in der gerade die drei Opfer vom Küstenfriedhof untersucht wurden – von Obduzieren ließ sich in dem Zustand nicht mehr sprechen. In dem gekachelten Raum herrschte Stille. Die grünen Kittel der Teams raschelten leise. Gummisohlen quietschten auf den Fliesen. Gelegentlich klirrte es metallisch, wenn Instrumente beiseitegelegt wurden. Manchmal war das Gemurmel von Stimmen zu hören, wenn Befunde in die Mikrofone von Aufnahmegeräten gesprochen wurden.
An einem der Stahltische arbeitete Ben Lüderitz. Das kalte Licht der OP -Lampen ließ seinen Kahlkopf glänzen, der von einem Ring aus weißen Haaren umkränzt wurde. Der stellvertretende Institutsleiter warf Tjark einen kurzen Blick zu und legte dabei den Kopf in den Nacken, als trage er eine Bifokalbrille. Vor ihm lagen braune Knochen, an denen noch Gewebefetzen hafteten. Hinter ihm auf einem Beistelltisch befand sich die schmutzig braune Plane, in die der Körper eingewickelt gewesen war. Das gleiche Bild bot sich fünf Meter weiter rechts, wo Dr. Inge Hermann sich mit einem Leichnam befasste. Die Farbe ihrer blassen Haut hob sich kaum von den Wänden ab. Der rote Lippenstift sah aus wie ein Blutspritzer auf dem Mund, um den herum sich tiefe Falten ins Gesicht gegraben hatten. Sie ließ gerade darin ein Bonbon verschwinden, sah Tjark kurz an und streifte dann wieder die Schutzmaske über. Sie sollte verhindern, dass Schimmel oder Pilzsporen in die Atemwege gelangten.
Tisch Nummer drei war Fees Revier. Sie schien während Tjarks Zigarettenpause mit ihrer Arbeit fertig geworden zu sein und ließ die sterblichen Überreste wieder verpacken, damit sie in ein Kühlfach gebracht werden konnten. Darin würde die Gerichtsmedizin den Körper so lange aufbewahren, bis Polizei
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