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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Computergeschäft führte. Ingersoll war dafür bekannt, Datenverlust als körperlichen Schmerz zu empfinden. Deswegen hatte er eine Art Wechsellaufwerk installiert, das wie ein auf der Seite liegender Toaster für acht Toastscheiben aussah. Damit konnte Ingersoll das Überschreiben hinauszögern und Aufzeichnungen etwa vierzehn Tage lang archivieren – zum Beispiel die vom Matjesfest.
    Zunächst scrollte Femke über die Filmdateien hinweg und öffnete den Ordner mit den Bildern, die sie beim Wittmunder Echo auf den Stick gespeichert hatte. Acht Fotos befanden sich darin. Auf jeder Aufnahme war Vikki zu sehen. Es war nicht schwer, sie zu verorten: Sie stach aus der Menge heraus, hatte die Haare wie früher Amy Winehouse toupiert und trug ein rotes Kleid, vielleicht das gleiche, das sie am Abend ihres Verschwindens angezogen hatte. Über dem Kleid trug sie eine Lederjacke und dazu ein paar schwere Bikerboots. Zahllose Ketten hingen ihr um den Hals und lenkten den Blick wie automatisch auf ihr Dekolleté.
    Das erste Bild zeigte eine große Gruppe von Menschen, die auf dem Platz am Hafen vor einer Bühne standen. In der vierten Reihe war Vikki im bunten Licht zu erkennen. Sie trank gerade einen Schluck Bier aus einer »Werlesieler«-Flasche und schien sich umzusehen – jedenfalls starrte sie nicht wie die anderen Besucher zur Bühne, wo eine Band gespielt hatte. Auf der nächsten Aufnahme war Vikki nur am Rand im Halbdunkel zu erkennen, und Femke musste die Lupenfunktion benutzen, um sie zu vergrößern. Sie stand an einer Bierbude und unterhielt sich mit jemandem. Es war nicht zu erkennen, mit wem. Die Personen waren wie Geister verwischt, wohl weil sie sich gerade bewegten: Der Fotograf musste an dem Abend eine lange Belichtungszeit benutzt haben.
    Die nächsten Bilder stammten vom Feuerwerk und waren geblitzt worden. Perfekt belichtet starrte Vikki inmitten einer Menschengruppe in den Himmel. Neben ihr, jedoch nicht allzu dicht, standen ohne Zweifel Jan Kröger und Carsten Harm mit Bierflaschen in der Hand. Beide wirkten betrunken, und Harm schien einen Blick auf Vikki zu werfen. Links am Bildrand sah Femke außerdem einen stiernackigen Mitarbeiter von Ruven in einem T-Shirt mit Security-Aufdruck, der nicht das Feuerwerk ansah, sondern seinen Blick über die Menschenmenge schweifen ließ. Vielleicht war es Einbildung, aber Femke hatte den Eindruck, dass er Vikki, Harm und Kröger fixierte. Seine Augen leuchteten rötlich – ein Blitzreflex in den Pupillen, den Femke von Familienbildern her kannte.
    Das achte Bild schließlich zeigte die Menschengruppe aus der gleichen Perspektive, allerdings waren das Duo um Vikki und sie selbst nur noch von hinten zu erkennen, beziehungsweise Vikki im Dreiviertelprofil. Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen und lachte.
    Als Nächstes öffnete Femke die Filmdateien in zwei Fenstern und bewegte den Zeitbalken weit nach rechts. Die Bilder rasten vorbei, bis in den Fenstern bunte Lichter blitzten und grelle Sterne den schwarzen Himmel aufhellten: das Feuerwerk. Femke stoppte den Player und zog die Betrachtungsfenster mit der Maus so groß wie möglich. Schließlich änderte sie, so wie Ingersoll es ihr erklärt hatte, die Auflösung. Mit einem Mal konnte sie einzelne Menschen in der Gruppe am Hafen erkennen – verwischt, unscharf, dunkel und grünlich, was ein Farbstich von der Restlichtaufhellung der Cams war. Dann öffnete sie das Menü »Bearbeiten«, wählte die Bildoptimierung aus – und schon im nächsten Augenblick war es möglich, mit ein wenig Phantasie individuelle Züge in den Gesichtern der Menschen auszumachen.
    Femke nutzte die Lupenfunktion, scrollte ein wenig herum, bis sie die Position gefunden hatte, an der Vikki laut Fotos gestanden haben musste. Und da war sie – zusammen mit Kröger und Harm, genau wie auf den Bildern. Femke wählte einen einigermaßen komfortablen Bildausschnitt. Dann drückte sie auf »Play« und betrachtete aus den zwei unterschiedlichen Perspektiven der Webcams, was weiter geschehen war. Die Aufnahme ruckelte, weil die Kameras lediglich drei Bilder pro Sekunde schossen.
    Vikki, Kröger und Harm drängten sich durch die Massen, wobei sie einen gewissen Abstand wahrten. An einer Bierbude stoppten sie, schienen sich etwas zuzuflüstern, während die Umstehenden in den Himmel starrten. Harm schwankte und versenkte das Gesicht in Vikkis Halsbeuge, Vikki lachte. Einige Augenblicke später steuerten beide hinter das Festzelt und verschwanden

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