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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Klamotten – tja.« Fee zerkaute einen weiteren Keks. »Billig, würde ich sagen. Aber in jedem Fall Partygarderobe, wenn du mich fragst.« Sie griff nach dem Tablet- PC und zeigte Tjark einige Bilder. Etwas wie ein Stretchkleid. Ein Lederminirock. Ein mit Strass besetztes Tanktop.
    »Sieht also so aus«, sagte Tjark nachdenklich, »als seien sie irgendwo feiern gewesen, bevor der Täter sie überwältigt und dann erschossen hat.«
    »Wieso denn erschossen?«, fragte Fee mit vollem Mund.
    Tjark verstand die Frage nicht. Die Kopfverletzungen der Leichen waren eindeutig.
    »Sie sind ertrunken«, brummte eine Stimme hinter ihm. Tjark drehte sich um. Ben Lüderitz kam herein, griff nach einer Flasche Mineralwasser und setzte sie an die Lippen.
    »Ja«, bekräftigte Fee, »ertrunken. Deswegen war der Abstrich auch sinnlos – das Problem haben wir bei jeder Wasserleiche. Das Meer spült das alles gründlich weg.«
    »Das Meer?«, fragte Tjark.
    Lüderitz sah Tjark wieder mit diesem oberlehrerhaften Blick an und stellte die Flasche beiseite. »In den Lungenresten und Atemwegen des jüngsten Opfers haben wir Wasser gefunden. Salzwasser mit Algenpartikeln. Nordseewasser. Im Leichensack von Opfer Nummer zwei und drei haben wir mit einem Schnelltest ebenfalls einen erhöhten Salzgehalt in den Flüssigkeitsrückständen ermittelt, die sich in dem Segeltuchgewebe festgesetzt haben.«
    »Salzwasser?« Tjarks Kehle war staubtrocken, und die Bronchien schienen sich zu verengen. Seine rechte Hand zitterte wie in einem Anfall von Parkinson. Er ließ sie in der Hosentasche verschwinden.
    »Tja.« Fee streckte sich erneut und fasste sich in den Nacken. Oberhalb des Gummibunds ihrer OP -Hose konnte Tjark Flammen sehen, die die Schädeldecke ihres Totenkopftattoos wie eine Korona umrankten. »Wenn du mich fragst, greift sich dein Täter die Opfer in Diskos ab, verschleppt und missbraucht sie. Danach wirft er sie an der Küste oder in einem Siel gefesselt ins Wasser, wo sie ertrinken. Vielleicht steht er drauf, dabei zuzusehen, und holt sich einen runter, bevor er die Leichen wieder rausfischt, ihnen das Gesicht wegschießt, um die Identifikation zu erschweren, sie verpackt und zu seinem Friedhof fährt.«
    »Denkbar«, bestätigte Ben Lüderitz mit einem strafenden Blick und stieß von der Kohlensäure auf, »wobei die Sache mit der Onanie der Phantasie der Kollegin entspringt.«
    »Und das«, fügte Fee ungerührt hinzu, »macht er schon seit drei Jahren so. Ein total durchgeknallter Freak.« Sie schmatzte mit den Lippen. »Einen waschechten Serienmörder hast du dir da eingehandelt, Großer.«
    Tjark sagte: »Es ist eine Theorie.«
    »Aber keine schlechte, oder?«
    »Nein.« Tjark wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Seine Lippen fühlten sich spröde an. Mit den Bronchien war es wieder besser. »Keine schlechte Idee.«

29
    Das Meer hatte die Farbe von Blutorangen angenommen. Die Masten der Segelboote warfen lange Schatten auf die Anlegestege der Werlesieler Marina, die dem Fähr- und Fischereihafen vorgelagert war. Die Takelungen der Yachten klickten leise im Abendwind. Das Wasser schmatzte an den Rümpfen. An die hundert Boote lagen im Sporthafen vor Anker. Insbesondere an den Wochenenden herrschte Hochbetrieb. Heute kam es Femke jedoch vor, als seien sie und Ruven die einzigen Menschen, die sich hier aufhielten.
    Ruvens Desire war ein nostalgischer brauner Jollenkreuzer – ein etwa sieben Meter langer Knickspant aus Holz statt aus weißem Fiberglas. Wie alle hier vor Anker liegenden Boote verfügte sie über ein einholbares Schwert und einen sehr flachen Kiel, was das Befahren von Küstengewässern und dem Wattenmeer ermöglichte. Außerdem hatte die Desire einen kräftigen Außenborder.
    Das Boot stammte aus den fünfziger Jahren. Ruven hatte es von seinem Vater übernommen, es aufwendig aufgearbeitet und mit einem zusätzlichen Spinnakersegel versehen, das jetzt zusammengefaltet in der Vertäuung am Bug ruhte. Die Desire trug ihren Namen in Anspielung an Tennessee Williams’ »Endstation Sehnsucht«, das im Original »A Streetcar Named Desire« heißt, und Ruvens Vater hatte gemeint, wenn er schon kein Auto mit dem Namen habe, dann wenigstens ein Boot. Es war eine der wenigen Geschichten, die Femke aus Ruvens Vergangenheit kannte. Er sprach nicht gern darüber. Seine Schwester war nach langem Leidensweg an Leukämie gestorben. Darüber war die Mutter verzweifelt und in die Psychiatrie eingewiesen worden, nachdem

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