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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Brustkorb zunimmt, je tiefer man sinkt, dem Abgrund entgegen.
    Tjark holte tief Luft und stand auf. Er ging zum Tresen in der Küche, zog eine Zigarette aus der Verpackung und steckte sie sich an. Das Nikotin beruhigte ihn sofort. Einen Moment stand er ganz still da. Dann merkte er auf und verstand, dass das schrille Geräusch kein Bestandteil des aus den Boxen jaulenden Gitarrensolos war. Es war die Türklingel. Tjark steckte sich die Zigarette in den Mundwinkel, ging hinüber und öffnete.
    Es war Fee, auch das noch, und er oben ohne …
    Fee klappte der Kiefer herunter, und ihre Augen öffneten sich so weit, als wolle sie sich eine Kontaktlinse einsetzen. Sie schlug sich die Hand vor den Mund. An jedem Finger steckte ein Silberring. Die Nägel waren grasgrün lackiert. Ansonsten trug sie ein enges T-Shirt, auf dem »Sid Vicious forever« stand, sowie eine schwarze Caprihose nebst Flipflops. Die Haare waren mit einem Gummi zusammengebunden, das ein Motiv mit Kirschen zierte. Ein Rucksack klemmte auf ihrem Rücken. Wenigstens, dachte Tjark, war sie nicht nackt wie beim letzten Mal, als sie vor seiner Tür gestanden hatte.
    Tjark sagte: »Fee, ich dachte, wir hatten das geklärt und …«
    Sie machte eine abwehrende Geste und schüttelte den Kopf. »Ich komme aus einem ganz anderen Grund – wobei, wenn ich dich so ansehe …«
    Tjark machte Anstalten, die Tür wieder zu schließen.
    Fee intervenierte sofort. »Stopp! Im Ernst – ich muss was mit dir besprechen. Ich wollte dich erst anrufen, weil ich dachte, du bist in Werlesiel. Aber dann habe ich gehört, dass du abends noch im Präsidium warst, und mir gedacht, dass du wohl kaum noch zurückfahren würdest. Also habe ich beschlossen, mein Glück zu versuchen, weil ich ohnehin lieber persönlich mit dir sprechen möchte als am Telefon. Und da habe ich eben deinen Wagen gesehen und gedacht: Oh, ich habe Glück und …«
    »Okay«, sagte Tjark, um Fees Redefluss zu stoppen, ließ sie herein, ging zurück ins Wohnzimmer und stellte die Musik leiser. Fee sah sich mit einem Gesichtsausdruck um, als habe sie gerade den Leonardo-Saal in den Uffizien betreten.
    »Ich dachte, das sei nur ein Gerücht mit deinem Comic-Spleen«, sagte sie und betrachtete die gerahmten Zeichnungen an den Wänden.
    »An einem Gerücht«, antwortete Tjark, räumte das Sofa frei und zog sich sicherheitshalber wieder das T-Shirt über, »ist meistens was dran.« Er setzte sich. Fee hockte sich neben ihn und starrte auf seine Tätowierung.
    »Ich hatte auch keine Ahnung, dass du ein Tattoo hast. Das sieht supercool aus.« Sie strich mit dem Finger über die Wellen. Tjark zog den Arm weg. »Wie so ein Yakuza-Tattoo. Was hat es zu bedeuten?«
    »Dass ich eine besondere Beziehung zum Meer habe.«
    Fee schnallte den Rucksack ab und stellte ihn neben sich hin. »Und welche?«
    »Ich mag es nicht.«
    »Warum denn nicht?« Fee zog eine rechteckige Nylonhülle aus dem Rucksack. Sie nahm ihr iPad heraus und schaltete es ein. Zeitgleich schlüpfte sie aus den Flipflops, zog die Beine an und schlug sie unter. »Ich meine: Jeder mag das Meer – ich stehe total drauf, wenn man abends am Strand …«
    »Fee«, sagte Tjark und rutschte etwas weg von ihr, »was willst du?«
    Sie sah ihn an. Sie atmete tief ein und aus. »Ich habe das Gefühl, dass ich dir was schuldig bin, Großer. Es war eine doofe Nummer von mir, das Gutachten so auszustellen, wie ich es getan habe, und letztlich hat dich das ziemlich in die Scheiße geritten.«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Es tut mir leid. Ich war verletzt und sauer und wollte es dir heimzahlen. Aber ich bin eigentlich nicht so. Ich bin ganz anders.«
    »Ja, du klingelst zum Beispiel halbnackt bei Männern, die du flachlegen willst.«
    Fee lachte schallend. Das iPad meldete sich mit einem Gong bereit. »Ich gebe zu, das war eine sehr offensive Anmache, aber …«
    »… eigentlich bist du nicht so.«
    Fee sah verschämt auf das Display. Ihre Fingernägel klickten auf der Glasoberfläche, als sie einige Dateiordner öffnete. »Wenn ich verknallt bin, schon«, sagte sie.
    Tjark ließ den Satz unkommentiert, beugte sich nach vorne und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »Also, worum geht es?«
    Fee hielt ihm den Tablet-Computer hin. Darauf waren einige Knochentrümmer in einer dreidimensionalen Grafik zu sehen. »Ich habe letztes Jahr einen Kursus in forensischer Anthropologie beim FBI in Boston belegt. Der Referent war so ein Typ, der am Ground Zero bei der

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