Dünengrab
Identifikation der Opfer mitgearbeitet und ein neues System für zahnmedizinische Begutachtungen entwickelt hat. Die Software ist vielfach verfeinert worden, und sie setzen sie zur Untersuchung von Opfern bei Selbstmordanschlägen oder bei der US -Armee ein. Ich habe also die am besten erhaltenen Kiefertrümmer eines der Opfer genommen und mit dieser Software rekonstruiert. Das Programm ist sauteuer, aber auch saugut.«
Fee tippte auf eine Schaltfläche. Im nächsten Moment setzte sich der Kiefer wie von Geisterhand in einer Animation wieder zusammen. »Fehlende Teile«, erklärte sie, »berechnet das Ding von selbst.« Ihr Finger tippte auf das skelettierte Kinn und schob es auf der Glasfläche hin und her. Mit jeder Bewegung drehte sich die Darstellung um verschiedene Achsen. »Das Opfer«, fuhr sie fort, »hat Zahnfehlstellungen hier und hier.« Sie zeigte Tjark die Stellen – und auch, wo Zähne überkront worden waren. »Das Material, aus dem die Füllungen gemacht worden sind, wird nicht in Deutschland benutzt. Es wird aber viel in Tschechien verwendet. Das habe ich zur Grundlage einer Recherche genommen – und voilà …« Sie tippte erneut auf das Display. Das Programm verschwand, und jetzt war das Bild einer jungen Frau zu sehen. Es wirkte wie die Aufnahme aus einem Pass oder von einem Führerschein. Sie trug blonde, kurzgeschnittene Haare, hatte hohe Wangenknochen, wasserblaue Augen. Ihre Nase sah aus, als sei sie einmal gebrochen gewesen. »Darf ich vorstellen? Anna Novák, 23 Jahre alt, gebürtig in Prag, wohnhaft in Wilhelmshaven, Bismarckstraße 57c, Beruf: Modell.«
»Wow.« Tjark rieb sich das Kinn.
»Ja, nicht?« Fee freute sich wie ein kleines Mädchen, griff mit der freien Hand nach vorne und knetete sich die Zehen. »Aber das ist noch nicht alles. Ihr habt sie in eurer Datenbank. Sie ist wegen Drogenbesitzes vorbestraft und einmal wegen Prostitution festgenommen worden. Sie nennt sich Chantal und hatte eine Website, die sie nach ihrer Festnahme gelöscht hat. Danach hat sie sich über eine Seitensprungagentur im Internet vermarktet.«
»Woher weißt du das?«
»Erkläre ich dir gleich.«
Eine Nutte aus Wilhelmshaven, dachte Tjark. Eine, die sich wie so viele über das Web angeboten hat. Er deutete auf das iPad. »Darf ich mal?«
»Klar.« Fee reichte ihm das Gerät.
Tjark rief einen Internetbrowser auf und googelte nach der Seitensprungagentur. Auf ihrer Homepage gab er den Namen Chantal ein und fand vierzehn Einträge mit Bildern. Eines davon glich dem Führerscheinbild von Anna Novák verblüffend. Die Frage war, ob es hier auch eines gab, das Vikki Rickmers zeigte.
»Bingo«, sagte Tjark. Er sah Fee an. »Und die anderen Leichen? Hast du die auch …«
»Bei denen ist es nicht so einfach. Es gibt weitaus weniger Fragmente, und die sind in einem bedeutend schlechteren Zustand. Aber wir werden uns jede einzelne vornehmen.«
»Das ist«, Tjark nickte anerkennend, »wirklich fabelhaft, Fee.«
Sie kicherte. Tjark gab ihr den Tablet- PC zurück. Dann wurde Fee ernst. »Das ist nur ein Teil dessen, was ich mit dir besprechen wollte – wenngleich sicher der wichtigste.«
»Was ist das andere?«
»Berndtsen hat sich alle Gutachten kommen lassen.«
»Berndtsen?« Tjark musste husten. Als er sich wieder gefangen hatte, griff er nach dem Orangensaft, um sich die Kehle freizuspülen.
»Ja.« Fee knibbelte an einem Zehennagel. »Und wir sollen ihm auch alle Ergebnisse von den weiteren Untersuchungen schicken, Tox-Analysen, bla, bla …«
Tjark räusperte sich. »Ich verstehe zwar nicht, warum er sich dafür interessiert – aber meinetwegen …«
Fee blickte auf. »Er lässt sich die Sachen nach Werlesiel schicken.«
»Berndtsen?«
»Mhm.«
»Nach Werlesiel?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Wahrscheinlich, weil er das Ruder übernehmen will, würde ich mal sagen. Er hat sich heute schon alles Mögliche faxen und mailen lassen.«
»Auch die Infos über Anna Novák?«
»Auch die Infos über Anna Novák.«
»Ebenfalls nach Werlesiel?«
»Ja.«
»Und deswegen weißt du bereits diese Sachen …«
»… über die Frau und die Internetagentur, ja, weil deine Kollegen schon tätig waren.«
Tjark ließ sich nach hinten zurückfallen, wo die Lederkissen ihn weich auffingen. Er strich sich durch die Haare. Während er den ganzen Nachmittag in der KTU beschäftigt gewesen war, hatte Berndtsen also einen Ausflug an die Küste unternommen. Fred hatte davon wahrscheinlich noch nichts
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